Abschied nehmen
Risiko eingehen. So waren die einzigen Wärmequellen, die er hatte, die Kerzen, deren Hitze jedoch lediglich dazu ausreichte, seine Hände ein wenig zu erwärmen.
Wie schon an den vorhergehenden Tagen hatte er kaum Schlaf gefunden und wenn dann keinen tiefen. Er döste nur so vor sich hin und seine Furcht, er könnte jederzeit gefasst werden, ließ ihn bei jedem kleinsten Geräusch aufschrecken. Auch wenn er seit Tagen keiner Menschenseele mehr begegnet war, fühlte er sich stets verfolgt und seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er dachte immer wieder an all die vielen seltsamen Zufälle, die Tag für Tag geschahen und mit deren Hilfe der Major ihn, auch wenn er seine Spur zurzeit verloren haben mochte, möglicherweise doch wieder finden könnte. Und so zwang er sich ununterbrochen zur Wachsamkeit.
Der Schlafmangel, der ständige Verfolgungswahn und die bittere Kälte waren jedoch nicht alles, was ihm zu schaffen machte, hinzu kam auch noch, dass er äußerst sparsam mit seinen Vorräten sein musste. Er musste sie sich gut einteilen, wenn sie bis zum Ende seiner Reise ausreichen sollten und so fielen die einzelnen Portionen recht klein aus und William war stets hungrig.
Als er sich in der vorletzten Nacht, auf der Suche nach Heu für Jimmy, in einen Stall begeben hatte, war er auf eine volle Kanne Milch gestoßen. Es war ihm unmöglich gewesen das fast vier Fuß hohe Gefäß mitzunehmen und so trank er an Ort und Stelle so viel er konnte und füllte auch seinen Wasserschlauch mit der Milch. Doch die ungewohnt nährreiche und fettige Milch ließ seinen Magen rebellieren, und nachdem er diese wieder erbrochen hatte, ging es ihm schlechter als vorher.
Auch Jimmy strotze nicht mehr so vor Kraft wie zu der Zeit, als er wohlbehütet und gut genährt in Georges Ställen gehaust hatte. Die Kälte und die langen Ritte machten auch ihm zu schaffen, auch wenn er weitaus ausdauernder war, als jedes andere Tier, das William bislang gesehen hatte.
Nun ließ William ihn etwas traben, damit das Tier sich ein wenig ausruhen konnte. Er presste seinen Körper an Jimmy und versuchte sich an dem Hengst etwas aufzuwärmen. Seine Sachen waren bis auf seine Unterwäsche durchnässt und William betete zu Gott, er möge ihn heil ankommen und ihn nicht vorher an einer Lungenentzündung sterben lassen.
Um dem zumindest etwas vorzubeugen, suchte er für seine nächste Rast eine Höhle und entschied sich doch ein kleines Feuer zu entzünden. Es kostete ihn viel Mühe, da fast all das Holz, das er fand, genauso durchnässt war wie er selbst, doch schließlich gelang es ihm. Er zog sich splitterfasernackt aus, um seine Sachen zu trocknen, wobei er in die noch zum größten Teil trockene Decke gehüllt dicht am Feuer Platz nahm. Die Wärme war einfach himmlisch und er hatte das Gefühl, als würde zum ersten Mal seit Tagen das Blut in seine Gliedmaßen zurückkehren.
Er starrte in die Flammen und plötzlich kam ihm der große marmorne Kamin wieder in den Sinn, vor dem er noch vor wenigen Tagen mit seiner Familie gesessen hatte und eine endlose Traurigkeit überkam ihn.
Seitdem er aufgebrochen war, musste er sich stets dazu zwingen, nicht an sein Zuhause zu denken, doch manchmal waren die Erinnerungen, die ihn überkamen einfach stärker als er und fielen, ohne dass er sich ihrer erwehren konnte, über ihn her. Er gab alles, um sie zu verdrängen, versuchte an Marcus und die anderen zu denken, oder an den Abend, an dem er das Liebespaar in dem Stall erwischt hatte, - sein einzig positives Erlebnis auf dieser Flucht - doch die sich schlagartig in ihm ausbreitende Wehmut erstickte jeden anderen Gedanken. Stattdessen führte sie ihn immer wieder zurück zu seiner Familie und er verstrickte sich immer tiefer in diese Gedanken, bis er seinen Kummer kaum noch ertrug.
Die seelischen Schmerzen zerrten noch zusätzlich und mehr als alles andere an seinen Kräften, die durch seine schlechte körperliche Verfassung schon unwahrscheinlich gefordert wurden und William fragte sich zum unzähligen Male, weshalb er all das tat. War es das alles, was er auf sich nahm, wert? Und dann entsann er sich immer wieder der Nacht des Überfalls und damit auch des unendlichen Leids, das Wentworth und seine Kumpanen über diese armen Menschen gebracht hatten und seine Antwort war stets ein eindeutiges und lautes Ja!
Am Morgen des sechsten Tages erreichte er
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