Abschied und Wiedersehen
es denn überhaupt losgehen?«
»Je früher, desto besser!« sagte Vater und lud sich den Teller zum zweiten Mal bis zum Rande voll. »Gleich zu Anfang des neuen Jahres fahren wir hin und suchen uns eine hübsche Wohnung. Ein bißchen außerhalb der Stadt, mit einem Garten! Jawohl, mit einem großen Garten, in dem wir unseren eigenen Kohl anbauen!« »Wer soll den Kohl anbauen?« fragte Mutter mit flatternden Augenlidern, »ich vielleicht?«
»Davon habe ich kein Wort gesagt, Linchen«, sagte Vater leicht geduckt, »im Gegenteil, wir nehmen uns wieder eine Marjell, damit du ein bißchen ausspannen kannst.«
Und der Gedanke, wieder ein Mädchen für den Haushalt zu bekommen, schien Mutter mit dem Wohnort- und Tapetenwechsel so auszusöhnen, daß sie nichts mehr gegen Vaters Vorschlag einzuwenden hatte.
»Vielleicht könnten wir sogar Mama zu uns nehmen, wenn die Wohnung geräumig genug ist«, meinte sie, »die alte Frau lebt in Lyck seit dem Tod vom Alten doch sehr einsam.«
»Warum eigentlich nicht?« sagte Vater, »sie ist ja noch ganz rüstig...« Es klang, als ob er sich dabei überlege, daß man die >Marjell< unter diesen Umständen einsparen könne.
»Und was soll mit mir werden?« fragte ich.
»Was soll mit dir schon werden? Du wechselst eben die Schule, und damit basta.«
»Du vergißt bloß dabei, daß ich Michaelis nach Tertia gekommen bin und daß die in Bartenstein bestimmt nur Klassen mit Osterversetzung haben. In ganz Königsberg hat ja auch nur das Friedrichskolleg Michaelis-Klassen.« Vater starrte mich leicht betroffen an. »Daran habe ich nicht gedacht«, gab er schließlich ungnädig zu.
»Soll ich vielleicht auf die Quarta zurückgehen? Oder bildest du dir ein, daß die mir ein halbes Jahr Tertia schenken werden und mich zu Ostern gleich in die Obertertia übernehmen?«
»Sag einmal, Lina, wie redet der Lümmel eigentlich mit mir?« knurrte Vater. »Als ob ich mit dem im gleichen Pisskaulchen gespielt hätte!« »Ich habe ja nur gefragt, und fragen wird man doch wohl noch dürfen!«
»In dem Ton hätte ich mit meinem Vater reden sollen!« sagte Vater verkniffen, »der hätte den Riemen schon vom Bauch geschnallt, bevor ich das Maul aufgemacht hätte!« »Er hat ja wirklich nur gefragt...«, meinte Mutter begütigend. »Und wie ist das nun mit ihm?«
»Ich glaube nicht, daß ich hier vor Ostern wegkomme«, sagte Vater. »Und dann melde ich ihn in Bartenstein für die Untertertia an. Ein halbes Jahr hin, ein halbes Jahr her, davon wird die Welt nicht untergehen. Punktum!«
Das war alles, was er dazu zu sagen hatte. Tatsächlich fuhren die Eltern an Vaters nächstem dienstfreien Nachmittag gleich in den ersten Tagen des neuen Jahres nach Bartenstein, um sich dort nach einer passenden Wohnung umzusehen. Sie kamen am späten Abend von ihrer Exkursion müde und auch ein wenig niedergeschlagen zurück. Die Stadt selber hatte ihnen recht gut gefallen, wenn sie auch nach Mutters Meinung keinen Vergleich mit Lyck aushielt. So etwas wie die gemütlichen Konditoreien von Strauss und Cabalzar hatte sie nirgends entdecken können. Viel unangenehmer aber war, daß sie in der ganzen Stadt keine Wohnung hatten finden können, die Mutters Wünschen auch nur annähernd entsprach. In einem Neubau am Bahnhof war noch eine Wohnung frei gewesen, aber die war so neu, daß das Wasser von den Wänden lief, und von Wohnzimmer und Balkon genoß man den öden Anblick eines Güterschuppens, von Abstellgeleisen und jenseits des Schienenstrangs der Gasanstalt. Mit einem Wort - eine Zumutung!
»Und dann wurde uns noch eine Wohnung angeboten«, erzählte Mutter mit einem Ausdruck, als liefe ihr noch nachträglich ein Frösteln über den Rücken, »in einer Straße, wo es zum Friedhof rausging, ich kenne mich da nicht so aus. Eine Fünfzimmerwohnung in einem älteren, aber recht hübschen Haus. Im Vorgarten Fliedersträucher und Jasmin, und hinten Obstbäume... Und wie Vater und ich mit den Leuten, die zum ersten März ausziehen wollen, noch verhandeln und gerade einig werden, daß wir die Wohnung nehmen, da läuft doch auf dem Sofa, auf dem ich sitze, so ein kleines, flaches, braunes Käferchen auf mich zu. Nanu, denke ich, das wird doch nicht etwa... Und schwupp, greife ich zu und hab das Tierchen zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich brauchte gar nicht daran zu riechen. Eine Wanze so groß wie eine Flunder! Und weißt du, Jungchen, was die Frau mir in aller Seelenruhe sagt? - >Also meinem Mann und mir tun sie nichts,
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