Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
Major mitgemacht hatte, getraute sich nicht auf die Straße. Er schickte die alte Tante Elma mit ihrem schiefen Mund hinaus, wenn es etwas zu besorgen gab. Und der Aurelius Piepus hatte sich in seiner Wohnung über der Apotheke richtig verbarrikadiert und erwartete stündlich, daß der Pöbel von Ratshof die Storchen-Apotheke stürmen werde. Aber es wurde niemandem ein Haar gekrümmt. Uns Jungen, die wir von der Französischen Revolution, von der Guillotine und vom blutigen Sturm auf die Bastille gehört hatten, kam diese Revolution fast zu friedlich und harmlos vor. Nicht einmal das Denkmal von Wilhelm I. wurde vom Sockel gerissen. Vielleicht hätte man den zweiten Wilhelm nicht ungeschoren gelassen, aber den hatte die Stadt noch nicht mit einem Denkmal geehrt. Es wurde nicht einmal jener Denkstein in der Nähe von Rominten zerstört, auf dem die Worte eingemeißelt waren: »An dieser Stelle erlegte Se. Majestät höchstdero jooooste Kreatur.« -
    Die Stadt stand nicht lange unter der Herrschaft der Arbeiter- und Soldatenräte. Aber es muß noch zu ihrer Zeit gewesen sein, als die Dritten Kürassiere, aus dem Felde heimkehrend, in geschlossener Formation mit den Kesselpauken und dem Spielmannszug voran, vom Bahnhof zu ihrer Kaserne in der Wallstraße am Tragheimer Tor ritten. Am Münzplatz kam es zu einem großen Auflauf. Zusammengeströmtes Volk versuchte, die Kürassiere, die starr geradeaus blickten und sicherlich ungeduldig auf den Befehl warteten, blank ziehen und dreinhauen zu dürfen, von den Pferden zu zerren, besonders den Mann an den Kesselpauken, der zu >Preußens Gloria* die Schlägel rührte und, ohne sich aus dem Takt bringen zu lassen, seine Schlägel auf die Köpfe wirbeln ließ, wenn es ihm zu dumm wurde. Ich habe das leider nicht miterlebt, aber der Alfred Kleiber, der in der Nähe wohnte und neben der Regimentsmusik herrannte, hat es mir erzählt und auch erzählt, daß sich die Revolte in diesem Augenblick in einem Riesengelächter auflöste. Und so war es wieder einmal ein preußischer Trommler, der wie sein durch Kleist zu Ruhm gelangter Tambour-Kollege eine unerschütterliche Gelassenheit bewies.
    Für unseren Geschmack jedenfalls kehrten Ruhe und Ordnung viel zu früh ein. Vaters Befürchtung, durch die Revolution Amt und Einkommen zu verlieren, bestätigte sich nicht. Auch der Landgerichtspräsident hatte seinen Posten wieder bezogen, und der Schreiber, den die Roten auf seinen Sessel gehoben hatten, kopierte wieder Akten. In der Schule ging der Unterricht weiter, als ob nichts geschehen sei, im Gegenteil, wir wurden ziemlich scharf herangenommen, denn die Herren Oberlehrer, denen die Revolution den Titel >Studienrat< beschert hatte, heil von der Front zurückgekommen und den überalterten Lehrkörper auffüllend, stellten zu ihrem Entsetzen fest, daß wir eine völlig verlotterte Bande geworden waren, und zeigten sich fest entschlossen, uns wieder Purschundek zu lehren. Zu den Sanften gehörte unser Deutschlehrer Kowalewski, ein Romantiker, der Kipling schätzte und ein besonders inniges Verhältnis zur deutschen Balladendichtung hatte. Wenn er besonders gut gelaunt war, gelang es uns leicht, ihn zur Rezitation des »Tauchers« oder des »Gang zum Eisenhammer« zu bewegen. Wenn er uns freie Wahl gab, verlangte die ganze Klasse stürmisch nach Bürgers »Lenore«. Herr Kowalewski konnte nämlich das R nicht sprechen, und so wurde aus der Lenore eine Lenowe von Gottfwied August Büwger, und die höchste Spannung galt den Versen, in die er sich besonders hineinlegte:

Und huwwe, huwwe hopp hopp hopp
Fowt gings im sausenden Galopp
Daß Kies und Funken stoben
Und Wwoss und Wweiter schnoben...

    Das waren aber auch wirklich die einzigen Lichtpunkte. Was außerhalb der Schule geschah, schien sich auf einem fernen Planeten abzuspielen. Vielleicht war es in den höheren Klassen anders, wir Tertianer waren wohl für Fragen der Tagespolitik und der Ereignisse, die sich um uns herum abspielten, noch nicht reif genug. Wir waren es tatsächlich nicht, denn was uns vom Morgen bis zum Abend bewegte und plagte, war der Hunger und die Frage, womit unsere Mütter uns den Bauch füllen würden. Als Mutter mich eines Tages mit einem mit Kunsthonig bestrichenen Brot in der Küche erwischte, brach sie in Tränen aus, weil sie glaubte, ich hätte ihr den kleinen Margarinerest weggefressen, den sie für die Bratkartoffeln zum Abendbrot aufgehoben hatte. Und dann machte sie sich tagelang bittere Vorwürfe, daß sie

Weitere Kostenlose Bücher