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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Glommen in Bartenstein einlief. Trotz der Kälte ging es auf dem Bahnhof vor dem roten Stationsgebäude, in dessen linkem Flügel ein Restaurant untergebracht war, recht lebhaft zu. Da promenierten eine Menge Volk, hauptsächlich junge Leute, viele von ihnen mit verschiedenfarbigen Mützen auf den Köpfen, die Mädchen zu dritt oder zu viert untergehakt und eng aneinander gedrängt. Ankunft, Aufenthalt und Abfahrt des Zuges schien für die jungen Leute ein spektakuläres Ereignis zu sein. - Mutter war trotz Muff und Skunkboa in dem ungeheizten Zug durchgefroren und wünschte etwas Warmes zu trinken. Vater spendierte uns in der Bahnhofswirtschaft einen mit Sacharin gesüßten Pfefferminztee, dazu verzehrten wir die Schmalzbrote, die Mutter mitgebracht hatte. Erwärmt und gestärkt machten wir uns bald auf den Weg durch die Stadt, die wir in einer knappen Viertelstunde von einem Ende bis zum andern durchquerten, denn beim Bahnhof begann die Stadt, und nicht sehr weit hinter den Gerichtsgebäuden lief die Heilsberger Straße auch schon ins freie Feld hinaus. Ich trabte neben den Eltern her und konnte rechts und links vom Wege nichts entdecken, was mich gereizt hätte, Königsberg mit Bartenstein zu vertauschen. Es war um die Mittagszeit, und die kleine Stadt schien ausgestorben oder von ihren Bewohnern verlassen worden zu sein. Der Wind fegte über den großen Marktplatz, wirbelte uns pulverigen Schnee entgegen und riß Vater in der engen Durchfahrt eines hohen, gotischen Backsteintores den breitrandigen schwarzen Bismarckhut vom Kopf. Ich mußte ihm über den halben Markt hinterherrennen, bis ich ihn endlich erwischte. Ich konnte nur hoffen, daß mich dabei keiner meiner zukünftigen Mitschüler beobachtete, denn die letzte, sehr erheiternde Vorstellung dieser Art hatte ein Clown im Zirkus Sarrasani vorgeführt. Was mußte der Alte bei diesem Stiemwetter auch den Hut aufsetzen!
    Sonst trug er die Mütze aus Biberfell bis in den Frühling hinein.
    Bald hinter dem hohen Tor mit den spitzbogigen Blindfenstern lief die Straße in einem scharfen Bogen nach links, dann wieder nach rechts und stieg so kräftig hügelan, daß sie von einem Dutzend rotznäsiger und blaugefrorener Kinder als Rodelbahn benutzt wurde. Und am höchsten Punkt, wo die Kinder ihre Schlitten zur Talfahrt anschoben, standen wir endlich vor unserm Ziel, einem großen, U-förmig angelegten und aus roten Ziegeln aufgeführten Gebäudekomplex. Im linken Flügel befand sich das Amtsgericht, im rechten das Landgericht, und dazwischen hinter einem hohen Zaun aus roten Ziegelsäulen und schweren gußeisernen Lanzen erblickte man hinter kahlem, schneebestäubtem Gesträuch und kahlen Bäumen ein schamhaft verstecktes, langgestrecktes Rückgebäude, das die beiden Gerichtsflügel miteinander verband. Die vergitterten Fenster dieses Hauses ließen keine Zweifel darüber aufkommen, worum es sich handelte. Nur Mutter schien, was sonst gar nicht ihre Art war, ein wenig begriffsstutzig zu sein.
    »Was ist denn das, da hinten?« fragte sie.
    »Was wird es schon sein?« brummte Vater, »das Landgerichtsgefängnis natürlich! Was auch sonst? Das gehört nun einmal dazu.«
    Mutters Zähne klapperten hörbar aufeinander, doch das kam nicht von der Kälte, und sie brachte das, was sie zu bemerken hatte, auch nicht gleich heraus. Aber es dauerte nur Sekunden, bis sie ihre Sprache wiederfand: »Nein, Julius!« sagte sie und schlug mit den Knöcheln auf einen nicht vorhandenen Tisch, »da bringst du mich nicht hinein! Das wirst du mir nicht antun! Mit Dieben und Mördern unter einem Dach? Da mache ich nicht mit! In dieses
    Haus bringen mich keine zehn Pferde rein, keine zehn Pferde, hast du mich verstanden!!«
    »Ich habe verstanden!« schnaubte Vater erbittert. »Die Versetzung aber kann ich nicht rückgängig machen. Ich werde mir also in Bartenstein ein möbliertes Zimmer nehmen, und ihr bleibt in Königsberg. Schluß! Aus! Kein Wort mehr darüber!« Er stürmte davon und ließ uns einfach auf der Straße stehen. Wir sahen ihn im Landgerichtsgebäude verschwinden.
    »Wenigstens ansehen hättest du dir die Wohnung ja können«, maulte ich und stampfte die Füße aufs Pflaster, denn die Kälte begann mir bis zum Hintern hochzukriechen. »Ich bin ein friedfertiger Mensch«, sagte Mutter mit bebender Stimme und wickelte sich die lange Skunkboa zweimal um den Hals, so daß nur noch die blau gefrorene Nasenspitze zu sehen war, »aber das kann mir kein Mensch zumuten, mit Dieben

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