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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Riemen über die Schulter baumelten. Eine Weile lief ich in drei Schritt Abstand hinter ihm her.
    »He, du«, redete ich ihn schließlich an, »kann man hier Schlittschuh laufen?«
    Er sah mich an und zog ein schiefes Maul: »Denkst du vielleicht, daß ich die Dinger zum Auslüften herumschleppe, du Knallkopp?« Er trug eine Pelzmütze mit heruntergeschlagenen Ohrenklappen, deshalb war ich nicht sicher, ob er das Gymnasium besuchte.
    »Ich gehe in Königsberg aufs Friedrichskolleg, du Pomuchelskopp«, sagte ich nicht unfreundlich. »Wir tragen grüne Mützen. Von der Nona bis zur Prima. Habt ihr hier etwa noch Klassenmützen?«
    »Das ist ja die Scheiße«, sagte er und warf die Schlittschuhe auf die andere Schulter, »da weiß es gleich die ganze Stadt, wenn man klebengeblieben ist.«
    »Was für ’ne Klasse bist du?«
    »Und du?« fragte er zurück. Sehr gesprächig fand ich ihn nicht.
    »Untertertia, aber das nützt mir nichts, wenn ich herkomme. Mein Vater will sich nämlich hierher versetzen lassen. Ich bin auf einer Michaelis-Klasse und müßte hier noch mal von vorn anfangen.«
    »Dann kämen wir zusammen«, sagte er, »wenn das Scheiß-Latein nicht wäre. Und dann noch Griechisch! Das wird mir das Genick ganz bestimmt brechen. Da nützt mir die ganze Mathe nichts. Aber wie kommst du überhaupt her? Bist du allein?«
    »Nee, ich bin mit meinen Eltern mitgekommen. Sie suchen eine Wohnung, aber damit sieht es ziemlich beschissen aus.« Das schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. Ich deutete mit dem Kinn auf seine Schlittschuhe: »Das ist ja wenigstens etwas, daß man im Winter Schlittschuhlaufen kann. Und was ist im Sommer?«
    »Fußball«, sagte er und bekam einen richtig verklärten Zug ins Gesicht, »ich stürme rechts außen.« Dabei tippte er mit dem Handschuhfinger auf ein kleines, blau-weiß geteiltes Emailwappen, das er am Revers seiner Jacke trug. »Die Nadel von Bartolonia, unserm Pennal-Club.« Er schien mächtig stolz darauf zu sein, diesem Club anzugehören.
    »Ich bin Schlagballer«, sagte ich und fügte, um ihm zu imponieren, hinzu: »Vorne-Mitte oder Mitte-Mitte!« Aber das machte auf ihn nicht den geringsten Eindruck. »Schlagball«, sagte er verächtlich und zog wieder sein schiefes Maul, womit er den Diphthong in seinem Lieblingswort ganz lang gezogen herausbrachte, »das ist doch
    Oberscheiße, davon redet doch kein Mensch mehr!« Aber dann musterte er mich mit einem Viehhändlerblick von oben bis unten und fügte gönnerhaft hinzu: »Na, wenn du wirklich herkommst, dann werden wir mal sehen, was man aus dir machen kann. Wir könnten einen guten Läufer brauchen - auch einen Verteidiger - aber dafür bist du zu mickrig...«
    »Zu mickrig!« giftete ich ihn an und hob die Fäuste, »wir können ja gleich ausprobieren, wer hier mickrig ist!« »Na, na«, sagte er und schniefte ein bißchen, »man immer langsam mit die jungen Pferde! Wer wird denn gleich? Zu mickrig als Verteidiger, habe ich gesagt. Aber wenn du durchaus willst, daß ich dir die Fresse poliere - von mir aus kann’s losgehen.« - Sekundenlang standen wir uns wie Kampfhähne gegenüber, dann ließ ich die Fäuste sinken und meinte, das könnten wir uns für später aufheben, aber er möge mir seinen Namen sagen, damit ich ihn mir für unsere nächste Begegnung notieren könne. Darauf meinte er, ich solle ihm zuerst einmal meinen Namen nennen, damit er wüßte, auf wen der Totenschein auszustellen sei -und mit seiner großen Schnauze brachte er mich zum Lachen. Wir schüttelten uns die Hände, ich nannte meinen Namen und er seinen: Kurt Reske. Und damit begann eine lebenslange Freundschaft, die vor zehn Jahren endete, als er nach einem Besuch bei mir bald darauf mit seiner Frau mit dem Auto tödlich verunglückte. -Im Bahnhofsrestaurant saßen die Eltern vor einem Kartoffelgulasch. In der Soße schwammen ein paar winzige Fleischbröckchen. Vater bestellte auch mir eine Portion davon. Dann löffelte er schweigend weiter. Auch Mutter sagte kein Wort, aber ab und zu salzte sie das Gulasch mit einer kleinen Träne. Um etwas zur Unterhaltung beizutragen, erzählte ich, daß ich einen Jungen getroffen hätte, mit dem ich, falls er wegen Latein nicht klebenbliebe, nach Ostern in die gleiche Klasse kommen würde. Vater blies in den Löffel, denn das Gulasch war glühend heiß: »Falls du kommst!« sagte er düster.
    Mutter schnüffelte ein bißchen. Sie blickte dabei starr in ihren Teller: »Er kommt!« sagte sie mit einem kleinen

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