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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Doppeltür aus Eichenholz auf. Die Luft, die uns aus dem endlosen, breiten und halbdunklen Flur entgegenschlug, der sein Licht nur von einem schmalen Glasschlitz über der Haustür und von einem weit entfernten Fenster am Ende des Korridors empfing, war nicht die beste. Es roch miefig nach kaltem Rauch, Aktenstaub, feuchten Klamotten und Katzendreck, und kaum erschnüffelt, kam uns auch schon ein riesiger schwarzer Kater entgegen und schnurrte um die Beine von Herrn Ewert herum. Uns schenkte er keine Beachtung.
    »Es ist unser Katerchen, der Moritz«, stellte Herr Ewert vor, »wir haben ihn bald zehn Jahre...«
    »Gibt es hier etwa Mäuse?« fragte Mutter ängstlich.
    Da könnte sie ganz beruhigt sein, meinte Herr Ewert, seit niemand mehr sein Frühstück liegenlasse, gäbe es auch keine Mäuse mehr; die einzigen Mäuse wären Fledermäuse, aber die hielten jetzt oben auf dem Boden ihren Winterschlaf. Und während er das sagte, sperrte er die Tür links hinter dem Windfang der Eingangstür auf. Wir traten in einen großen, hallenden Raum, durch dessen hohe Bogenfenster man auf die Straße blickte. Eine Verbindungstür führte in ein etwas kleineres, aber immer noch riesiges Zimmer mit normalen, rechteckigen Fenstern, dann gings durch eine schmale Kammer - »Hier könnte das Dienstmädchen schlafen, wenn Sie eins kriegen«, meinte Herr Ewert - und dann standen wir in einem Zimmer, an dessen Längswand einsam und überraschend ein schwarzer eiserner Küchenherd mit einer blanken Nickeleinfassung stand.
    »Die Küche«, sagte Herr Ewert schlicht und deutete auf zwei Eisenstopfen an der Wand, »Wasser- und Gasanschluß sind auch vorhanden.«
    Mutter war zwischen Vater und Herrn Ewert stumm durch die saalartigen Zimmer mit den riesigen weißen Kachelöfen gewandert. Nun stand sie stumm und mit schmalen Lippen vor dem erbärmlichen Herd.
    »Das ist aber noch nicht alles«, sagte Herr Ewert, der Mutters Schweigen für innere Ergriffenheit vor der Größe dieser Räume zu halten schien, »ja, gnädige Frau, da hat man Luft zum Atmen! Es gehören nämlich noch zwei Zimmer zu Ihrer Wohnung, kleinere Zimmer allerdings, und sie liegen auf der anderen Seite des Korridors.« Mutter stieß die Luft mit kurzen, harten Stößen durch die Nase: »Was Sie nicht sagen, Herr Ewert - auf der anderen Seite des Korridors! Und nun erzählen Sie mir, bitte, noch, wo das Klo ist.«
    »Tcha«, antwortete Herr Ewert in einiger Verlegenheit, »mit dieser Frage berühren Sie sozusagen einen wunden Punkt, die beiden Aborte liegen nämlich am andern Ende des Korridors, aber man könnte einen davon absperren und für Ihren Privatgebrauch reservieren. Einer muß für die Herren, die hier arbeiten, und auch für’s Publikum offen bleiben.«
    Mutter reichte Herrn Ewert die Hand: »Danke, Herr Ewert, es war sehr freundlich von Ihnen, uns herumzuführen. Und grüßen Sie Ihre liebe Frau von mir und sagen Sie ihr, daß wir uns für den Tee und für die reizende Bewirtung ganz herzlich bedanken. - Und nun wird es wohl Zeit für uns, zu gehen.« Und damit raffte sie den Rock, mit dem sie dicke Staubwolken aufgewirbelt hatte, und rauschte davon. Vater sah ihr mit einem verzagten Blick nach, lüftete den Hut und verabschiedete sich seinerseits von dem netten Herrn Ewert.
    »Nu ja, eine Stadtwohnung, wie Ihre Frau Gemahlin sie gewöhnt ist, ist das hier natürlich nicht«, sagte der bedauernd, »aber Sie werden sich schwer tun, Herr Rat, hier was Passendes zu finden.« »Das habe ich schon gemerkt«, murmelte Vater bedrückt. Das Schweigen, mit dem die Eltern den Rückweg zum Bahnhof antraten, war so eisig wie der Wind, der uns in den Rücken blies. In den Straßen und auf dem Markt war nicht viel mehr Leben als in der Mittagszeit. Kälte und Wind hielten die Leute am warmen Ofen. Und dann saßen wir bei einem Gesöff, das sich Kaffee nannte und mit Kaffee nichts gemein hatte als die braune Farbe, wieder in der Bahnhofswirtschaft und hatten mehr als zwei Stunden bis zur Abfahrt des Zuges vor uns.
    Mit dem Versprechen, pünktlich eine halbe Stunde vor Zugabfahrt auf dem Bahnhof zu sein, konnte ich mich von den Eltern losmachen und trabte auf dem gleichen Weg, den wir nun schon zweimal zurückgelegt hatten, zum Marktplatz zurück. Am Ausgang der Bahnhofstraße, in der Nähe des Kriegerdenkmals, einem Obelisk, der an die Gefallenen von 1870/71 erinnerte, sah ich einen Jungen meines Alters mit ausgeprägten O-Beinen daherkommen, dem zwei Schlittschuhe an einem

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