Abschied und Wiedersehen
kleines, zierliches Persönchen, das ich bereits um einen guten Kopf überragte. Der Herr, mit dem sie sich verlobt hatte, war keine zwei Finger breit größer als sie, und es haute mich fast um, als er mir die Hand reichte und dazu sagte: »Ja, grüeß di God, mein Liaba, dein Schwesterl hat mir schon vui von dir verzöhlt...« Herr des Himmels, wen hatte sie da aufgegabelt und mitgebracht? Lotte können meine tellergroßen Augen nicht entgangen sein, denn sie sagte hastig: »Karl ist nämlich Österreicher. Erlebt in Wien und ist Universitätsprofessor und zur Zeit Dekan der theologischen Fakultät...« »Weißt«, sagte mein zukünftiger Schwager und blinzelte mir zu, »das sägt sie, damit du nicht denkst, daß ich mit alte Kleider handel. A bisserl wie a Jud schaug i schon aus, net? Aber das muß daran liegen, daß ich in Lemberg unter vierzig Mitschülern der einzige Christ gewesen bin. Und das Komische dabei war, daß ich wie ein kleiner Jidlach aussah - die andern waren alle große und blonde Aschkenasim...«
»Aber Karl...!« rief Lotte.
»Weißt«, sagte er und reichte mir die Hand, »den Doktor und den Professor kehren wir untern Tisch, und du nennst mich einfach beim Namen. Damit tust du dir leichter, und mir tut’s wohl, gelt?«
»Gern, Herr Völcker...«
Lotte hatte ihr Gepäck bei ihrer Freundin Clara in Kranz zurückgelassen, und er hatte nur ein kleines Köfferchen dabei, das er mir erst nach längerem Hin und Her zum Tragen überließ. Er hatte für sich bereits telegrafisch ein Zimmer im >Bartensteiner Hof< bestellt, und dort lieferten wir ihn ab.
Die beiden schienen das schon vorher so verabredet zu haben, wahrscheinlich, damit Lotte Zeit fand, Vater schonend darauf vorzubereiten, daß sie in Begleitung eines Herrn nach Bartenstein gekommen war.
»Deiwel, Deiwel, Deiwel«, sagte ich, nachdem wir uns von Herrn Völcker verabschiedet hatten, »ein richtiger Universitätsprofessor! Da wird Else aber Augen machen...« »Ja, das wird sie wohl...« meinte sie mit einem unüberhörbaren Triumph in der Stimme, denn sie hatte wohl immer ein wenig im Schatten der schönen älteren Schwester gelebt.
»Wo hast du ihn kennengelernt?«
»In Kranz. Er hat in Uppsala in Schweden an einem Kongreß teilgenommen und machte in Kranz für einige Tage Urlaub, um sich dann noch in Königsberg ein wenig umzusehen. Ihm ist nämlich ein Lehrstuhl an der Albertina angeboten worden.«
»Das wäre ja prima! Dann würdest du also in Königsberg leben...«
»Ich weiß nicht«, sagte sie und krauste die Nase, »ich könnte mir eigentlich etwas Besseres denken.«
Zu Mittag gab es eine Gemüsesuppe quer durch den Garten mit einem ordentlichen Stück Rindfleisch darin. Vater ließ es sich schmecken, und Lotte wartete mit ihrer Überraschung, bis er sich seine Pfeife angezündet hatte. Er stopfte sie nicht mehr mit Steinklee, denn es gab schon wieder richtigen Tabak zu kaufen. Die letzten Jahre in Bartenstein waren Vater gut angeschlagen. Der Bauch füllte wieder die Weste, und der Wind strich ihm nicht mehr zwischen Hals und Kragen über die Brust. Wenn er mit seinem wallenden weißen Bart, den breitrandigen Schlapphut auf dem Kopf, durch die Straßen ging, fiel es dem schlimmsten Laux nicht mehr ein, hinter ihm herzulaufen und >Knookejerüst< oder >Dot von Warschau< zu schreien. Nur einmal hatte es eine kleine Verstimmung gegeben, als jemand Großmutter für seine Frau und Mutter für der beiden Tochter gehalten hatte. Daß Mutter sich dabei recht geschmeichelt gefühlt hatte, ist nicht verwunderlich, aber gerade das hatte Vater sehr gegen den Strich gebürstet. - >
Als Lotte schließlich die Partie eröffnete, sehr vorsichtig und gewunden, da fiel Vater durchaus nicht aus den Wolken, im Gegenteil, er meinte, daß der Urlaub in Kranz sich gelohnt habe und daß es für Lotte wohl auch höchste Zeit geworden sei, unter die Haube zu kommen. Das wiederum schien Lotte nicht gern zu hören, sie hüstelte nervös und trommelte mit den Fingerspitzen einen kleinen Wirbel auf die Sessellehne.
»Mutter war immerhin dreißig, als ihr geheiratet habt! Und du warst fünfundvierzig!«
»Na ja, na ja«, brummte Vater, »ich wollte damit ja auch nichts sagen. Und wie alt ist dein Professor?«
»Zehn Jahre älter als ich...«
»Na, dann hat er sich aber auch Zeit gelassen...«
»Gott sei Dank!«
Vater verschlug es denn doch ein wenig den Atem, als sich sein zukünftiger Schwiegersohn am Nachmittag vorstellte. Ich hatte ihm die
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