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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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sterben wollte. Er starb durch Selbsttrunk.«
    »Hübsch, das ist wirklich hübsch, aber was hat das mit dir zu tun? Möchtest du mir das erklären?«
    »Ich habe eine kleine Erbschaft gemacht. Ein Goliath ist leider nicht dabei. Und leider bin ich mit den Eßlöffeln auch schon am Ende. Wir vertrinken gerade das letzte Stück. Mit den wenigen verbliebenen Kaffeelöffelchen werde ich bedeutend kürzertreten müssen. - Bist du nun zufrieden?« Er hob das Glas und trank mir blinzelnd zu, die Zigarette hing ihm im Mundwinkel, und der Rauch stieg vor seinem linken Auge in einem dünnen Faden empor.
    »Du bist wirklich ein Hund!« sagte ich hingerissen.
    »Ich nehm’s als Kompliment.«
    Dann tranken wir die Flasche leer, und noch eine, und noch eine dritte. Dazwischen unterhielten wir uns, der große Fabricius zitierte eigene Gedichte und entwarf auf der Rückseite einer Speisekarte einen Leseplan für mich. Ich fand ihn am nächsten Tag in meiner Tasche. In dem umfangreichen Register waren einige Namen mehrfach unterstrichen, Novalis, Mörike (Maler Nolten!), E. T. A. Hoffmann, Kleist (Novellen!), Hölderlin, Grabbe, Büchner. Büchner dreifach unterstrichen und mit drei Ausrufezeichen versehen. Es war ein volles Jahresprogramm... Aber nach dieser feuchten Begegnung sah ich den großen Fabricius monatelang nicht mehr. Einmal flüchtig am Bahnhof, aber da hatte er es eilig. Und dann entdeckte Hausmeister Folgmann den Einbruch im Gymnasium. Im Dachgeschoß gab es einen Raum, an dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift >Heimatmuseum< hing. Der gleich zu Anfang des Krieges gefallene Vorgänger unseres Chefs hatte dieses Museum gegründet und darin gesammelt, was der alte Bartengau an Bodenfunden hergab, vom Steinbeil bis zu den Flinten und Säbeln napoleonischer Soldaten, die in der Schlacht bei Preußisch Eylau gefallen waren. Dazu Münzen aus der Ordenszeit, mittelalterliche Urkunden mit großen Wachs- und Bleisiegeln, bäuerlichen Hausrat und bürgerliche Möbel aus vergangenen Epochen. Unser Chef hatte die Sammlung fortgesetzt, mit seinem aufs Universelle gerichteten Geist aber erweitert, so daß man dort nun auch Knickerschirme aus dem Biedermeier neben einem Zylinderhut des Bismarcksohnes Wilhelm, der eine Zeitlang als Regierungspräsident in Königsberg gewirkt hatte, besichtigen konnte. Den Schlüssel zu dem Raum besaß der Chef. Er verwahrte ihn in einer Schublade seines Schreibtisches und holte ihn gelegentlich hervor, wenn die Bitte um Besichtigung der musealen Schätze an ihn herangetragen wurde. Das geschah selten, denn der alte verstaubte Kram interessierte uns wenig; wenn uns die Besichtigung reizte, dann deshalb, weil der Raum in früheren Zeiten als Karzer gedient hatte, für unbotmäßige Pennäler, die sich dort mit Zeichnungen und Sprüchen an den Wänden verewigt hatten.

Hier hab vier Stunden ich gesessen
hab dein gedacht, du holdes Kind
und hab im Träumen ganz vergessen
daß ich im Karzer mich befind.

    Dazu fehlte natürlich das von Pfeilen durchbohrte Herz ebensowenig wie die Initialen des Delinquenten und seiner Angebeteten.
    Die Diebe hatten das einfache Schloß mit einem Dietrich geöffnet und mitgenommen, was ohne Mühe zu transportieren und bei Sammlern und Antiquaren leicht abzusetzen war. Beile aus der älteren und jüngeren Steinzeit, zwei frühe Bibeln, die alten Urkunden mit den seltenen Siegeln und die wertvolle Münzsammlung. Da auch die Königsberger Zeitungen über den Diebstahl berichteten, meldete ein Antiquariat, daß zwei junge Männer die Bibeln zum Verkauf angeboten hätten. Es dauerte dann kaum zwei Wochen, daß die Diebe gefaßt wurden. Es waren zwei Schüler der Kunstgewerbeschule - und der eine von den beiden war der große Fabricius. Natürlich war die Geschichte tagelang das Stadtgespräch. Da ich im Freundeskreis von dem Zechgelage im >Bartensteiner Hof< erzählt hatte, getraute ich mich kaum noch auf die Straße, denn es war auch herausgekommen, womit Fiermann Schmiedeke dieses und andere Gelage finanziert hatte - mit dem Silberbesteck seiner Mutter, das er nach und nach verkauft hatte. Ob man meinen Beteuerungen, daß ich von der Herkunft der Löffel keine Ahnung gehabt habe, Glauben schenkte, möchte ich bezweifeln. Kurt Reske meinte jedenfalls, er wäre nicht so dämlich gewesen, auf die Geschichte von der Erbschaft hereinzufallen.
    Tagelang lief ich mit dem Gefühl herum, einen schweren Schlag auf den Schädel abbekommen zu haben. Ich konnte es einfach nicht

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