Abschied und Wiedersehen
von Gruppe zu Gruppe und gab, während auf der Bühne Studienrat Westphal mit >Herr, deine Güte reicht so weit< brillierte, letzte Regieanweisungen.
Nun, wenn die Aufführung nur halb so gut wie der Beifall war, den man uns spendete, dann war es die beste Aufführung eines griechischen Tragikers, die je über eine deutsche Bühne gegangen war. Es gab so viele Vorhänge, daß Herr Folgmann ins Schwitzen geriet. Der Chef strahlte vor Stolz und Wohlwollen, kam hinter die Bühne und schüttelte jedem Darsteller persönlich die Hand: »Das habt ihr großartig gemacht, Kinder, - das werde ich euch nicht vergessen!« - Aber durfte man ihn, wenn es darauf ankam, wirklich beim Wort nehmen? Leider lag zwischen seinen Worten und der Versetzung in die Prima noch ein langes, langes halbes Jahr.
Es machte mich nicht wenig stolz, in den Berichten über das Jubiläum des Gymnasiums bei der Würdigung der überdurchschnittlichen Leistungen der jungen Darsteller< meinen Namen nicht nur in dem Bartensteiner Blättchen, sondern in einem Artikel von Herrn Bohlmann auch in den Königsberger Zeitungen zu entdecken. Kein Wunder, daß ich den Entschluß faßte, Schauspieler zu werden. Wochenlang trug ich eine Miniaturausgabe des Faust in der Größe jener winzigen Wörterbücher, deren Benutzung bei Klassenarbeiten streng verboten war, ständig mit mir herum und lernte ihn vom Vorspiel bis zum letzten Wort - Stimme, von innen verhallend: Heinrich - Heinrich... - auswendig, um für alle Rollen, und wenn es sein mußte,
auch für das Gretchen, gerüstet zu sein. Einem Bewerbungsschreiben an das Königsberger Schauspielhaus, das damals noch in der Passage an der Königstraße spielte, legte ich neben einem kurzen Lebenslauf die Zeitungsausschnitte bei, gestand freimütig, daß mir die Penne bis zum Halse stände und daß ich keinen größeren Wunsch hätte, als meine schauspielerische Laufbahn im Ensemble des Schauspielhauses beginnen zu dürfen. - Es muß dem Sekretär des Intendanten ein diebisches Vergnügen gemacht haben, meinen Brief zu beantworten. Mir zitterten die Hände, als ich sein Schreiben vierzehn Tage später öffnete. Er teilte mir mit höflichem Bedauern mit, daß die Rolle des Charakterdarstellers mit Herrn von Beneckendorff leider gerade besetzt worden sei und daß auch der jugendliche Held sowie die Chargen langfristige Verträge hätten, so daß sich die Intendanz zu ihrem Bedauern gezwungen sähe, meine Bewerbung vorerst abzulehnen, zumal der Etat des Theaters eine Doppelbesetzung nicht erlaube. Die Zeitungsausschnitte lege er für eventuelle weitere Bewerbungen an Berliner oder Hamburger Bühnen zu seiner Entlastung bei. - In meiner Arglosigkeit zeigte ich den Brief stolz herum und erntete, da die Freunde und Kameraden Ironie den Paukern, nie aber dem Sekretär eines Theaterintendanten zutrauten, nicht Spott und Gelächter, sondern eine fast respektvolle Bewunderung. Dabei beeindruckte sie wohl am meisten die Tatsache, daß ich entschlossen gewesen war, den Schulkrempel hinzuschmeißen und notfalls von daheim durchzubrennen.
In diesen Tagen begegnete ich bei dem Sonntagsbummel auf dem Markt Hermann Schmiedeke. Wir kannten uns nur flüchtig, denn er war zwei Jahre älter als ich und hatte die Schule vor zwei Jahren mit dem Einjährigenzeugnis verlassen. Eine Lehre als Dentist hatte er nach kurzer Zeit abgebrochen, weil ihn anderer Leute Zähne anekelten. Seit einem Jahr besuchte er die Kunstgewerbeschule in Königsberg, um Grafiker zu werden. Sein Vater war in Bartenstein Volksschullehrer. Wir waren schon einige Male ins Gespräch gekommen und uns dabei fast jedesmal in die Wolle geraten. Ich hielt ihn für einen Angeber. Namen wie Kandinsky, Macke, Nolde und van Gogh, von denen ich noch nie etwas gehört, geschweige denn gesehen hatte, gingen ihm geläufig über die Zunge. Mutter besaß eine Spitzweg-Mappe und war längere Zeit auf die schmalen Monografien eines Kunstverlages abonniert gewesen, der in Abständen von zwei Monaten ziemlich scheußliche Reproduktionen von Böcklin, Franz von Stuck, Lenbach, Leibi, Makart und Slevogt herausbrachte, Namen, die Schmiedeke mit einer verächtlichen Handbewegung vom Tisch fegte. Nun, von der Malerei verstand ich zuwenig, um ihm widersprechen zu können. Aber daß er den Namen von Storm mit Veilchen auf Vanillensoße verband und Löns einen Feld-Wald-und-Wiesenheini nannte, empörte mich zutiefst. Gerhart Hauptmann, den ich verehrte, ließ er unter Vorbehalten gerade noch
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