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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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begreifen, wie ein Mensch von seiner Intelligenz solch eine völlig idiotische Tat begehen konnte. Ein Kerl, der die englischen Kronjuwelen aus dem Tower gestohlen oder einen Banktresor um eine Million beraubt hätte, hätte mir noch einen gewissen Respekt abgenötigt. Es war der dumme und schäbige Diebstahl, der mich für den großen Fabricius Scham empfinden ließ, und noch elender fühlte ich mich, als ich erfuhr, daß er mit seinem Komplizen nach Bartenstein überstellt worden war, um hier in der Untersuchungshaft auf seinen Prozeß zu warten. Wir lebten also unter einem Dach, und es war durchaus möglich, daß ich ihn vom rückwärtigen Korridorfenster hinter einem der Gitter des Gefängnistraktes entdecken konnte.
    Der Prozeß fand drei Monate nach seiner Festnahme statt. Er lockte mehr Publikum an als die beiden Mörder, die den Aufseher umgebracht hatten und hier zum Tode verurteilt worden waren. Die Verhandlung war kurz, das Urteil lautete auf ein Jahr Gefängnis. Ein ehemaliger Bartensteiner Pennäler, der als Referendar am Prozeß teilgenommen hatte, erzählte, daß Hermann Schmiedeke außer zu Angaben zu seiner Person in der Untersuchungshaft genauso wie vor Gericht zur Sache selbst hartnäckig geschwiegen und das Urteil starr und völlig unbewegt entgegengenommen habe. Ich nahm an, daß ihn die Scham über seine Dummheit zum Verstummen gebracht hat.
    Wochen und Monate vergingen, in der Stadt sprach längst schon kein Mensch mehr über diese Geschichte und über den Fall Schmiedeke, nur ich konnte ihn nicht vergessen, denn mich quälte der Gedanke, daß er sozusagen auf Rufweite in meiner Nähe lebte. Ein Jahr hinter Gittern... Wie konnte er das mit seinem beweglichen Geist durchhalten? Ich will nicht sagen, daß ich darauf hoffte, daß ich aber darauf gefaßt war, eines Tages zu erfahren, daß er sich in seiner Zelle erhängt oder auf irgendeine andere Art ums Leben gebracht hatte. Nichts dergleichen geschah. Und genau ein halbes Jahr nach seiner Verurteilung erhielt ich in einem grauen Umschlag mit dem Stempel der Gefängnisverwaltung und auf grauem Papier einen Brief, in dem er mir munter und mit ungebrochenem Lebensmut mitteilte, daß es ihm den Umständen entsprechend gutgehe und daß er die soeben erhaltene Schreiberlaubnis ausnutze, sich zuerst mit mir in Verbindung zu setzen. Da er nun auch Leseerlaubnis bekommen habe, bat er mich, ihm drei Bücher zu besorgen und bei der Gefängnisverwaltung für ihn abzugeben: Kant Kritik der reinen Vernunft, Nietzsche Jenseits von Gut und Böse und Schopenhauer Die Welt als Wille und Vorstellung. - Er habe das Gefühl, sich bislang mit der falschen Lektüre beschäftigt zu haben, und halte es für dringend notwendig, denken zu lernen. Sein kurzes Schreiben schloß >mit den besten Grüßen von Haus zu Haus!< Und eigentlich war es diese Frechheit, die mich entwaffnete. Ich besorgte ihm die Bücher aus der Stringeschen Antiquaria-Abteilung und lieferte für ihn im Verlauf der nächsten Monate noch einige andere in der Verwaltung ab, lauter schwere Kost, bei der ich schon an den ersten drei Seiten scheiterte.
    Er scheint sich als Gefangener vorbildlich geführt zu haben, denn ihm wurden zwei Monate der Strafe zur Bewährung erlassen. Ein wenig enttäuscht, zugleich aber auch erleichtert, denn ich hätte meine Befangenheit bei der ersten Begegnung wohl kaum verbergen können, erfuhr ich, daß er die Stadt verlassen und es sogar vermieden hatte, seinen Eltern noch einmal zu begegnen. Er meldete sich auch in Zukunft bei mir nicht mehr. Zwei Jahre lang verlor ich ihn aus den Augen und fast auch aus dem Gedächtnis. Aber die erste schmerzliche Liebeserfahrung, der sinnlose Tod von Alfred Klahr und die sinnlose Tat von Hermann Schmiedeke hatten nicht nur die ersten Zweifel daran in mir aufkommen lassen, daß diese Welt die denkbar beste sei, auch das heitere Bild der kleinen Stadt, in der ich aus den Kinderschuhen herausgewachsen war und - bis auf die Schulsorgen - fünf glückliche Jahre verbracht hatte, begann sich zu trüben. Es war schon ein verdammt enges und kleines Nest. Die Stunden, die man im Sommer auf dem Fußballplatz am Schützenpark, beim Baden im Oberteich oder in der Alle verbrachte, füllten die Tage sowenig aus wie im Winter das Schlittschuhlaufen oder der tägliche Bummel zwischen Markt und Bahnhof.
    Zugegeben, das Schützenfest, bei dem der Viehhändler Paul Grudde Schützenkönig wurde, war schon ein Ereignis, das Leben und Betrieb in die Stadt

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