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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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stammte diese Weisheit mit großer Wahrscheinlichkeit von ihm. Auch Gertrud Fleming war eine Adeptin des großen Meisters, wenn auch eine von der milderen Observanz, denn die ernsten waren, wie es nun einmal die Art von Konvertiten ist, ziemlich unerträglich. Am Erfolg gesehen aber kann ich nicht ganz ausschließen, daß es letzten Endes doch die fernöstlichen Weisheiten von Herrn Bo Yin Ra waren, denen ich das Überspringen der riesigen Osterhürde verdankte. Vielleicht nämlich stand in seinen Werken auch irgendwo zu lesen, daß ein starker Arm im Hintergrund auch den Schwächsten über ein Hindernis zu heben vermag. - Denn wenn Herr Bluhm mich auch als hoffnungslosen Fall aufgegeben hatte, so genügte doch der Glaube daran, daß Direktor Mollenhauer mir Nachhilfestunden gegeben habe, mir - schon um den Kollegen Mollenhauer nicht zu blamieren - statt der Fünf eine Vier ins Zeugnis zu schreiben. Da ich in den anderen Fächern schwer gebüffelt hatte, brachte ich mit dem recht ordentlichen Zeugnis auch die Versetzung nach Prima ins froh gestimmte Elternhaus.
    Im Rückblick auf jene Jahre frage ich mich manchmal, ob die Sorgen und Ängste um Gegenwart und Zukunft wirklich so groß waren, daß man am Leben zu verzweifeln drohte. Aber wenn ich an die Jugendfreunde denke, die sich eine Kugel in den Schädel jagten, weil sie an der Osterhürde hängenblieben oder das Abitur nicht schafften, dann wird mir die ausweglos erscheinende Dunkelheit, durch die man irrte, sehr gegenwärtig. Noch heute steht zwischen meinen Büchern die Literaturgeschichte von Scherer mit der makabren Widmung: Meinem lieben Freunde H. B. an meinem Geburts- und Todestag zum Andenken an Heinrich Jamrowski. -Als ich ihn kennenlernte, war er zum zweiten Mal an der Versetzung nach Unterprima gescheitert. Es gab in Königsberg eine bekannte Presse eines Herrn Dr. Mensch. Das Abitur als Externer zu schaffen, war keine Kleinigkeit. Als nun Heinrich Jamrowski, wie es vorauszusehen war, das Abitur auch beim zweiten Anlauf nicht schaffte, stand sein Entschluß fest, seinem Leben ein Ende zu machen. Wochen- und monatelang, in Kneipen, in Cafés, auf endlosen Wanderungen zwischen seiner Bude in der Tuchmachergasse und unserer Wohnung in der Bachstraße versuchte ich ihn in stundenlangen Auseinandersetzungen von seinem Entschluß abzubringen. Zweimal wollte ich ihm die Mauserpistole, die er ständig bei sich trug, mit Gewalt abnehmen. Wir haben uns um sie regelrecht geprügelt und die Nasen blutig geschlagen. Er war nicht umzustimmen und er war nicht aufzuhalten. An einem Novembertag, seinem Geburtstag, hatten wir ein Treffen im Messehauptrestaurant verabredet. Wir tranken bei solchen Lokalbesuchen für gewöhnlich zwei oder drei kleine Biere, bei gutem Kassenstand auch etwas mehr. Bei diesem Treffen bestellte er sich eine Tasse Kaffee. Natürlich fragte ich ihn, ob er etwa krank sei. Aber er antwortete, daß ihm nicht das fehle, was ich wohl meine, nein, er habe seinem alten Herrn die Monatsabrechnung zu schicken...
    »Außerdem habe ich mich in der >Hartung’schen Zeitung< vorgestellt. Ich könnte dort auch ohne Abitur und Studium als Volontär eintreten. Aber ich muß eine offizielle Bewerbung mit Lebenslauf und allem Drum und Dran einreichen.«
    »Was sagt dein alter Herr dazu?«
    »Das interessiert mich nicht.«
    Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war gespannt. Der Vater war Pfarrer in einem Kirchspiel bei Angerburg, und sein Gehalt war sicherlich nicht se üppig, daß er es sich ohne eigene Entbehrungen leisten konnte, den älteren Sohn studieren zu lassen und den jüngeren, meinen Freund Heinrich, auf die kostspielige Presse des Dr. Mensch zu schicken. Aber da gab es auch noch andere Dinge, die das Vater-Sohn-Verhältnis trübten. Es war vor allem die Diskrepanz zwischen dem Mann, den der Sohn auf der Kanzel bei der Sonntagspredigt beobachtete, und jenem andern, den er als Ehemann und Vater daheim menschlich und oft genug allzu menschlich erlebte.
    An jenem Abend im Messehauptrestaurant erschien er mir ruhiger und gelöster als sonst. Er poussierte - anders kann ich es nicht nennen - auch nicht mit der Pistole in seiner Tasche, für die er, oft mitten im Gespräch, zärtliche Worte wie für ein geliebtes Mädchen fand, so daß ich mit einem kleinen Frösteln im Rücken oft genug das Empfinden hatte, er sei nicht ganz bei Verstand. Um neun brachen wir auf. Er begleitete mich noch ein kurzes Stück meines Heimweges. Vor den kämpfenden Auerochsen,

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