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Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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zu meiner schönen und geheimnisvollen neuen Bekannten machte, war pure Unsicherheit, die mich noch an der Haustür zögern ließ, die Zugglocke in Bewegung zu setzen. Als sie mir dann öffnete und sagte, ich hätte sie aber recht lange auf meinen Besuch warten lassen, da verschlug es mir fast die Stimme, und ich gestand ihr stammelnd, daß es vieler Anläufe bedurft hätte, ehe ich den Mut fand, daran zu glauben, daß sie es mit der Einladung ernst gemeint habe. Vor dem Besuch hatte ich in einem günstigen Moment an Mutters rundem Blumentisch gerupft. Sie hatte mit ihren Blumen eine glückliche Hand; ob sie Azaleen, Parmaveilchen, Fuchsien, Primeln oder Alpenveilchen eintopfte, sie gediehen prächtig und wurden von den Damen, die zum Kaffeekränzchen kamen, rückhaltlos bewundert. Bei Frau Fleming rückte ich mit einem Strauß roter Alpenveilchen an.
    »Wie reizend!« sagte sie, »aber wissen Sie, die Blümchen geben Sie am besten meiner Mutter...« Es war eine liebenswürdige und für spätere Zeiten verwertbare Belehrung, bei Besuchen in Familien an alle Damen des Hauses zu denken. Sie führte mich zu ihren Eltern hinauf, ich lieferte die Alpenveilchen bei Frau Gerlach ab, die über diese Aufmerksamkeit ganz gerührt schien, und lernte auch Frau Flemings Vater, Herrn Gerlach, kennen. Er saß in einem großväterlichen Ohrenbackensessel, rauchte eine schwarze Zigarre und trug das volle, eisengraue Haar wie unser Feldmarschall Hindenburg en brosse hochgebürstet. Er lebte als ehemaliger Reichsbankdirektor im Ruhestand und schien sein Vermögen gut angelegt zu haben, denn der Rotwein und die Zigarren gingen ihm nie aus. Er war humorvoll und unterhaltsam, bedankte sich nachträglich bei mir, daß ich seine Tochter sicher durch Nacht und Nebel heimgebracht hätte, und nannte mich, so oft ich ihn auch sah, nie anders als »Ritter Horst von Uhlenforst<; und das klang so freundlich und fern von allem Spott, daß ich mich fast geehrt fühlte, als hätte er mich wie ein Fürst in alten Zeiten zum Ritter geschlagen. Nun, und etwas anderes, als Frau Fleming ritterlich zu dienen, hatte ich auch nicht im Sinn - oder nur von ganz, ganz fern...
    Wenn wir die alten Herrschaften dann verließen und in das Kaminzimmer mit dem Stutzflügel hinuntergingen, wenn auf dem Rost des Kamins die Tannenzapfen knisterten und Funken sprühten, wenn wir uns bei Tee unterhielten, wenn Frau Fleming Gedichte von Rilke, Baudelaire, Stefan George oder Hofmannsthal vorlas - Rilkes Cornet konnte ich nicht oft genug hören - oder wenn sie sich an den Flügel setzte und Schumann oder Chopin spielte, dann umfing mich wieder der süße Zauberbann ihrer Gegenwart mit einem Gefühl von Lähmung und Schwerelosigkeit; es war, als streichle ihre Stimme oder das Chopinsche Nocturno meine Rückenhaut wie sanft kraulende Fingerspitzen. Ihr Spiel ging weit über das hinaus, was man damals von »höheren Töchtern< am Klavier erwarten durfte. Was ich von ihr über sie selbst und ihre Vergangenheit erfuhr, war mehr als spärlich. Über ihre Ehe sprach sie nie. Aus gelegentlichen Andeutungen, mehr aus dem Munde ihrer Eltern als von ihr selbst, setzte ich Mosaiksteine zu einem undeutlichen Bild zusammen. Daß sie nach dem Lyceum das Konservatorium besucht, mit zwanzig Jahren das Musikstudium abgebrochen und als Hilfsschwester in einem Kriegslazarett, in dem er als Chirurg tätig war, ihren Mann kennengelernt und geheiratet hatte. Kurz vor Beendigung des Krieges hatte er durch eine im Feldlazarett krepierende Granate das Augenlicht und den linken Arm verloren. Vor zwei Jahren hatte sich ein winziger Splitter, den man operativ nicht entfernen konnte, gelöst und eine Hirnblutung verursacht, an der er gestorben war. Das waren nicht viele Einzelheiten, aber ich konnte mir ausrechnen, daß sie achtundzwanzig Jahre alt war und an der Seite des blinden Mannes drei Jahre lang kein leichtes Schicksal getragen hatte.
    Daß sie mir bei unserer ersten Begegnung den Werther abgenommen hatte, schien sie vergessen zu haben, und noch dankbarer war ich ihr dafür, daß sie die Zeilen auf der Vorsatzseite des Buches nie erwähnte. Über meine Schulsorgen ging sie mit Bemerkungen hinweg, wie etwa, daß es im Leben wichtigere Dinge als das Abitur gebe, oder, daß nur Narren ihr Leben wegen einer unglücklichen Liebesgeschichte oder wegen verbogener Klassenarbeiten wegwürfen, Narren oder Labile, die am Leben so oder so scheitern würden. Und sie zählte mir ein halbes Dutzend berühmter

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