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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Seite lag, das eine Auge weit offen, um sie nicht aus dem Blick zu verlieren.
      «Du bist mir vielleicht einer», sagte sie, klopfte ihm auf die Rippen und hörte in ihren Worten Henrys Echo.
      Im Sommer war es im Keller kühl, und Rufus hatte ein Fleckchen in einer Ecke seiner Werkstatt, der Betonboden herrlich. Sie war überzeugt, dass Rufus ihn vermisste. Manchmal lief er durchs Haus, schnupperte an den Rüschen von Henrys Sessel oder dem halb vollen Schuhregal in seinem Wandschrank und kam dann mit verwirrtem Blick zu ihr, als wollte er fragen, wo er sei. «Ich weiß», sagte sie dann, doch - es war so albern - sie brachte es nicht über sich, es ihm zu erzählen, sich mit ihm hinzusetzen wie mit einem Kind und ihm alles geduldig zu erklären. Und vielleicht wollte er auch etwas ganz anderes wissen, vielleicht projizierte sie nur ihr Verlustgefühl auf ihn. Deshalb sagte sie «Ich weiß» und ließ es dabei bewenden.
      Sie fragte sich, ob Marcia daran gedacht hatte, den Lufttrockner zu entleeren. An einem Tag wie diesem war er schnell voll. Letztes Jahr hatte sie es vergessen, und Emily hatte Schimmelprobleme gehabt, ihre besten Handschuhe und Halstücher moderig, die neue Vliesweste, die Kenneth ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, verschimmelt. So etwas war ärgerlich, ganz leicht zu verhindern.
      Beim Trinken umschloss sie ihre Tasse mit beiden Händen, als wäre Winter. Die Vögel waren immer noch nicht still. Zwei Schwalben duellierten sich, sie schossen übers Wasser, flogen dann hoch hinauf und blieben in der Luft stehen, stürzten sich wieder herab und drehten ab, als sie ihr zu nahe kamen. Durch die jähe Verfolgungsjagd wusste Emily ihre eigene Reglosigkeit zu schätzen. Sie wünschte, sie hätte die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, ein Teil des Stegs zu werden und zu beobachten, ohne zu stören. An so einem Morgen konnte sie ewig hier sitzen. Die friedliche Stimmung des Tages übertrug sich auf sie, beruhigte ihre Gedanken, wenn auch nur für einen Augenblick. Zu Hause war das unmöglich, jeder Tagtraum führte zu Henry oder den ehemaligen Zimmern der Kinder, und die Vergangenheit blitzte auf wie in einem Fotoalbum, doch hier hatte Emily eine Entschuldigung, denn die Umgebung - der Geist des Ortes - war dazu angetan, dass der Besucher die Zeit vergaß, sich einer weitreichenderen Betrachtung öffnete. Sie dachte, dass fürs Golfspielen dasselbe galt. Sie sollte öfter aus dem Haus gehen. Sie musste Louise bearbeiten.
      Hinter ihr glitt ein Erpel zwischen die Stege, tauchte auf der Suche nach Futter den grünen Kopf ins Wasser und stellte den gefiederten Rumpf auf wie ein sinkendes Schiff. Er bewegte den Schnabel, als würde er das Gras kosten und sich die Lippen lecken. Dann paddelte er weiter, zog eine schimmernde Welle hinter sich her und drehte den Kopf, auf steife Art wachsam. Rufus döste und bemerkte ihn nicht.
      Und wo ist Mrs. Wildente?, dachte sie, verfolgte das Ganze aber nicht weiter. Sie konnte Henry nicht überall sehen. Es gab Möglichkeiten, solche Gedanken zu vermeiden, sie zu unterbrechen, noch bevor sie richtig angefangen hatten. Als Erstes musste man lernen, sie zu erkennen.
      Sie merkte, dass sie wie ein Kind mit den Füßen strampelte, sie ohne ersichtlichen Grund hin und her baumeln ließ, ein Schutz vor dem Nachdenken. Das lag bloß an diesem Tag, an dem Geschenk des herrlichen Wetters. Die Sonne schien ihr heiß auf Arme und Knie, und Emily hoffte, dass Kenneth inzwischen auf war. Sie wollte vor dem großen Andrang dort sein. Es gab nichts Schlimmeres, als warten zu müssen, bis andere Leute abgeschlagen hatten.
      Ein leichter Wind kräuselte die Wasseroberfläche, trug den morastigen Pflanzengeruch von Algen herüber. Sie schloss die Augen, lauschte den verschiedenen Vögeln, erkannte ihre Stimmen, während die Sonne beharrlich rot durch ihre Lider schien, und die ganze Zeit war ihr bewusst, dass ihre Beine immer noch hin und her baumelten. In der Ferne brummte ein Rasenmäher. Schlau - denn am Nachmittag würde es brutal heiß sein.
      Ein Zittern durchlief den Steg. Emily schlug die Augen auf, drehte sich um und sah Arlene mit etwas Schwarzem in der Hand heranstapfen. Neben ihr hob Rufus den Kopf, ließ ihn dann wieder sinken. Emily hielt ihre Füße still.
      «Endlich ein schöner Tag.» Arlene schwenkte den Arm über den Himmel.
      Sie hatte ihre Kamera dabei und wollte sich den Film leihen, von dem sie gesprochen hatten. Für ihren

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