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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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verabschiedet hatten (sie und Arlene hatten den Kopf durchs offene Fenster gestreckt, um Herb einen raschen Kuss zu geben) und die Wisemans davongefahren waren, zerbrach sich Emily über ihre eigene Bemerkung den Kopf und fragte sich, was davon auf sie selbst gemünzt war, als nachträgliches Eigenlob. Die Wisemans fuhren bloß nach Buffalo. An Herbs aschfahlem Gesicht sah Emily, was Marjorie bevorstand, die Hoffnung und die Angst, die Vorbereitung und das Warten. Emily musste sie anrufen, wenn sie nach Hause kam, doch davor fürchtete sie sich genauso wie vor den Rechnungen und der geschätzten Steuersumme und setzte es nur widerwillig auf ihre Liste.
      «Können wir?», fragte sie Kenneth, um ihn auf Trab zu bringen, und er trottete ins Haus, um die Sonnencreme zu suchen.
      Arlene setzte sich auf den Schaukelstuhl auf der Veranda, ihre Mission vergessen. Die Wisemans hatten ihnen jeglichen Schwung genommen, der Ton des gesamten Morgens war verändert. Emily wagte nicht, sich hinzusetzen, sonst würde auch sie unter der Last zusammenbrechen, das konnte sie sich nicht leisten, nicht jetzt. Zu Hause würde sie genug Zeit haben, sich damit zu befassen. Heute spielte sie Golf.
      Sie schleppte ihre Schläger zu Kenneths Wagen und überlegte, wie man die Heckklappe öffnete, packte dann fest zu und hob die klappernde Tasche ins Auto, überrascht, wie leicht sie war. Emily hatte immer auf sich aufgepasst, und ihre Mutter war dreiundachtzig geworden. Sie dachte wieder an die adrette, gepflegte Maijorie. Sie konnten beide noch zwanzig Jahre leben, gebeugt und auf ein Nichts zusammengeschrumpft in ihren leeren Häusern wohnen, bis sich die Kinder um ihre Sicherheit sorgten und sie ins Altenheim brachten.
      Kenneth kam plattfüßig mit seiner Tasche aus dem Haus, fingerte an den Reißverschlüssen herum und ließ sich viel Zeit.
      «Fahren wir!», rief sie wie ein knallharter Trainer. «Los, Maxwell, leg dich mal ins Zeug!»
     
     
* 2
     
    Lise hörte, wie der Wagen ansprang, und drehte das Gesicht kurz zum offenen Fenster - die Vorhänge reglos, die Kastanie hinterm Fliegenfenster staubig und sonnengesprenkelt -, erkannte das vertraute Motorengeräusch und wandte sich dann wieder der Seite mit Harry beim Weihnachtsmahl zu, Hunderte von fetten gebratenen Truthähnen, gefolgt von farbenprächtigem Plumpudding und Pfannkuchen und Torten. Filch, Professor Snape und Professor Flitwick. Es war wie bei Dickens, alle hatten komische Namen.
      Auf der anderen Seite des Zimmers öffnete Sarah die Tür zum Bad und zog sie hinter sich zu. Lise sah auf ihre Armbanduhr auf der Zederntruhe. Es war noch früh. Meg und Ella schliefen noch. Draußen war es blendend hell, aber drinnen war das Licht flach, das Zimmer schattig. Emily war weg, und Lise war frei, der ganze Morgen gehörte ihr. Sie fläzte sich hin, bog den Rücken, stellte die Knie auf wie ein Gebirge und schwor sich, erst aufzustehen, wenn sie unbedingt musste.
     
     
* 3
     
    Sarah nahm Rufus mit - sie brauchte irgendeinen Vorwand, um wegzukommen. Tante Arlene war damit beschäftigt, Fotos zu machen, und fragte nicht, ob sie mitkommen könnte, sondern sah Sarah bloß komisch an, als könnte sie so früh noch nicht auf sein.
      «Es ist so schön draußen», sagte Sarah, «ich dachte, ich geh mal zu den Teichen rüber.»
      Es war einfach, sie anzulügen, Sarah musste sich nicht mal Mühe geben. Bei ihrer Mutter war es ermüdend, weil man den Überblick behalten musste.
      Hoffentlich können wir noch wie früher miteinander reden. Sie konnte es nicht ausstehen, wie die Leute sich für etwas entschuldigten, als wäre es nicht ihre Schuld, als hätte es jemand anders getan. Wie Mark, der sich entschuldigte, obwohl er bekam, was er wollte.
      Es war sonnig, sie hatte kaum geschlafen, und der Spaziergang kam ihr länger vor als gewöhnlich. Sie hatte Bauchschmerzen. Sie hatte gar nichts im Magen, aber sie war sich sicher, dass Sie sich übergeben würde, wenn sie versuchte, etwas zu essen. Der Geruch der Straße nach heißem Asphalt erinnerte sie an letzten Monat, als sie mit dem Fahrrad am Briefkasten vorbeigefahren war, an die sich dahinschleppenden Tage, als sie darauf gewartet hatte, etwas von ihm zu hören, und sie kam sich dumm und jämmerlich vor, fühlte sich im Stich gelassen.
      Das Schlimmste war, nicht mit ihm reden zu können, ihm nicht alles, woran sie letzte Nacht gedacht hatte, entgegenschreien, ihn nicht fragen zu können, warum. Colin

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