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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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hatte sie es wenigstens ins Gesicht gesagt. «Ich glaube, wir sollten Schluss machen», hatte sie gesagt, und nicht: «Ich will mit dir Schluss machen.» Es war keine Bitte gewesen. Sie hätte Gründe gehabt, falls er welche gebraucht hätte, als hätte er ihr beipflichten, es als gute Idee ansehen können. Sie hatte nicht gesagt, dass es ihr Leid täte. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen und gesehen, wie sich sein Gesichtsausdruck änderte, hatte sie gedacht, er würde sie schlagen, aber plötzlich war er ganz hilflos gewesen, blinzelnd und knallrot im Gesicht, hatte fassungslos gesagt, er verstünde nicht, und sie sollte es ihm erklären, und da hatte sie gewusst, dass es einfach sein würde. Sie hatte gewollt, dass es vorbei war und er wegging, aber sonst hatte sie nichts empfunden, nicht mal Erleichterung, bloß eine dumpfe, kopfschmerzartige Ungeduld.
      Dasselbe empfand jetzt Mark ihr gegenüber, und sie war genauso verwirrt wie Colin damals. «Was hab ich denn falsch gemacht?», hatte Colin gefragt, und sie hatte sich bemüht, nett zu sein, und zu ihm gesagt: «Nichts.» Jetzt begriff sie, wie sinnlos diese Antwort war, wie grausam. Sie bedeutete: Du kannst nichts tun, also versuch's erst gar nicht. Du existierst nicht. Dasselbe Gefühl hatte sie gehabt, nachdem ihr Vater sie und Justin abgesetzt hatte, als er sagte, er müsste ihre Mutter fragen, ob ein bestimmter Tag in Ordnung wäre - das Gefühl, nicht so geliebt zu werden, wie man jemand anderen liebte. Das kannte sie nur zu gut.
      Und trotzdem, am liebsten hätte sie im Ferienlager angerufen und mit Mark gesprochen. In Gedanken hatte sie schon ein Dutzend Briefe voll sarkastischer Bemerkungen angefangen und sich genau überlegt, mit welchen Worten sie ihn verletzen konnte - dass er unbeholfen und dumm wäre wie ein kleines Kind -, aber dann hatte sie einen Rückzieher gemacht, weil sie fand, dass es nicht stimmte, wenigstens nicht ganz.
      Das Schreckliche war, dass sie ihn nicht mal besonders gern hatte. Das hatte sie von Anfang an gewusst. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihr schreiben würde. Den ganzen Juli hatte sie sich was vorgemacht. Es lag hauptsächlich an der Jahreszeit. Letzten Sommer bei Oma hatte sie sich genauso einsam gefühlt, hatte sich an den kühlen, mückenreichen Abenden gewünscht, sie wäre zu Hause, und als sie wieder in Silver Hills waren, war ihr die Decke auf den Kopf gefallen, und die Stofftiere und die gelben Wände hatten sie daran erinnert, wie lange sie schon in dem Haus wohnte, wie lange sie noch bleiben musste.
      Der Gedanke, dass die Schule bald anfing, machte alles bloß noch schlimmer. Sie hatte den ganzen Sommer vergeudet. Sie hätte gespannt sein sollen - «Denk an all die neuen Leute, die du kennen lernst», schwärmte ihre Mutter -, doch insgeheim hatte sie Angst. Sie glaubte nicht, dass es sich von der Middle School groß unterscheiden würde, dieselbe öde Routine von Bus, Cafeteria und Bandprobe, während das Wetter umschlug, die Tage kürzer wurden und aus Anrufen und Hausaufgaben bestanden, aber die Schule war riesig, und Liz wurde von ihren Eltern auf die Dearborn Academy geschickt. Sie würden zum ersten Mal seit dem Kindergarten getrennt sein. Als sie ihre Mutter gefragt hatte, wie viel es kostete, nach Dearborn zu gehen, hatte ihre Mutter lachend gesagt: «Zu viel», als könnte Sarah das nicht ernst meinen. Ihr Vater sagte, sie wären bloß wegen der Schule nach Silver Hills gezogen. «Euch Kindern zuliebe», hatte er gesagt, als hätte er ein Opfer gebracht und sie müsste ihm dafür dankbar sein.
      Rufus zog sie zu der Abkürzung, die an dem leer stehenden Haus mit dem bis zum Boden reichenden Dach vorbeiführte.
      Das Gras war nicht gemäht, im Straßengraben wucherten Stundenblumen. Vor ihnen schwirrten Insekten aus dem Wald, vom Licht eingefangene Pünktchen, die dann wieder in den Schatten flogen. Rufus trottete hechelnd dahin, an seiner Zungenspitze ein Tropfen. Wenn sie zurückkamen, musste sie nachsehen, ob er noch Wasser in seinem Napf hatte.
      Sie hörte den Wagen, bevor sie ihn sah, er holperte quietschend die Straße zum Jachthafen entlang. Ihr erster Gedanke war, sich zu verstecken, in den kühlen Wald zu verschwinden und Rufus mitzuzerren, aber der Wagen kam zu schnell, und Sarah wollte aus Prinzip nicht nachgeben. Die konnten sie mal. Sie sah die schwarze Silhouette zwischen den Blättern aufblitzen und dachte, es wäre ein Lieferwagen oder ein großer

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