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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Kühlschrank brauchte sie neue Fotos von den Kindern und wollte ein schönes vom Sommerhaus haben. Vielleicht würde Kenneth ihr seine Sachkenntnis zur Verfügung stellen.
      Emily blickte in ihre Tasse - fast leer. «Hast du auf meiner Frisierkommode nachgeschaut? »
      «Ich hab ihn nirgends gesehen.»
      Auf dem Kaminsims, dem Küchentisch, vielleicht auch neben dem Telefon.
      Nein.
      «Hat es einen Augenblick Zeit?»
      «Klar», sagte Arlene, doch statt den Wink zu verstehen, setzte sie sich auf die Bank und sprach davon, mit dem Boot rauszufahren. «Weißt du noch, als es neu war und wir wie der Teufel über den See gerast sind?», fragte sie, verdarb Emily damit jegliche Gelegenheit, sich zu verlieren.
      Sie wusste es noch. Sie wusste, dass auch Arlene ihn vermisste. Sie war bloß verärgert, weil sie die Vögel verlassen und sich wieder dem Rest der Welt zuwenden musste. Es war unvermeidlich und nicht Arlenes Schuld, und doch fühlte sie sich gehetzt und gab ihren Sitzplatz nur widerwillig auf. Auch Rufus war nicht glücklich.
      Sie war erstaunt, dass Kenneth mit seiner Kamera durch den Garten schlich, als hätte er ihr Spiel vergessen.
      «Ich hatte den Eindruck, dass wir zum Golf verabredet sind», sagte sie.
      «Das Licht ist so gut, da hab ich gedacht, ich verknipse rasch einen Film. Dauert bloß zehn Minuten.»
      «Dann fahren wir also in zehn Minuten.»
      «Bis dahin bin ich so weit.»
      «Hoffentlich. Es wird so viel Betrieb herrschen wie im Zoo.»
      Im Haus schossen die Jungs mit Pistolen aufeinander. Margaret, Lisa und die Mädchen waren noch nicht auf- keine Überraschung. Emily entdeckte die gelbe Schachtel auf ihrer Frisierkommode, genau da, wo sie sie hingelegt hatte, deutlich sichtbar. Sie begriff nicht, warum Arlene nach so vielen Jahren noch immer so förmlich sein musste, hatte aber weder genug Zeit noch Energie, sich mit ihr darüber auseinander zu setzen. Sie spülte ihre Kaffeetasse ab, putzte sich die Zähne und rieb sich Gesicht, Arme und Beine mit Sonnencreme ein. Sie hatte genug Bargeld dabei und, für alle Fälle, ihre Kreditkarten, und als sie die modrige Außentasche ihrer Golftasche durchsuchte, entdeckte sie eine ungeöffnete Schachtel Tees - mindestens zwei Jahre alt. Eine Flasche Wasser wäre eine gute Idee, doch die im Kühlschrank war fast leer, offenbar das Werk eines der Jungs.
      «Bitte stellt keine leeren Flaschen in den Kühlschrank», sagte sie zu den beiden und hielt die Flasche hoch.
      Ungehört prallte der Vorwurf von ihnen ab.
      Draußen rollte ein Auto langsam an den Fenstern vorbei - der rote Cadillac der Wisemans kam die Einfahrt rauf. Sie folgte dem Wagen über die Veranda, holte ihn ein, bevor Maijorie ihre Tür öffnen konnte. Herb Wiseman saß angeschnallt auf dem Beifahrersitz, abgemagert, kaum fähig zu winken, und Emily musste sich beherrschen, ihr überraschtes Lächeln erstarren lassen. Wegen der Klimaanlage waren die Fenster geschlossen, und Maijorie ließ den Motor laufen. Arlene und Kenneth kamen herüber, um die Wisemans zu begrüßen.
      «Wir fahren.» Maijorie hüllte Emily in eine parfümierte Umarmung.
      «Wir wollten euch noch besuchen», beteuerte Emily und musterte sie.
      Arlene umarmte Maijorie ebenfalls. Kenneth schüttelte ihr mit männlicher Anteilnahme die Hand. Emily merkte, wie unverändert sie aussah - das gepflegte weiße Haar, die beneidenswerte Bräune und die gleichmäßigen Zähne, ihre Sommeruniform aus verblasstem Lacoste-Polohemd, Madras-Shorts und Mokassins. Anscheinend ging es ihr gut, konnte ihr seine Krankheit nichts anhaben, sie wirkte höchstens noch stärker. Emily dachte voll Sorge, dass sie genauso ausgesehen hatte, ihre Gesundheit neben Henry schockierend, als wäre sie ein Vampir.
      «Ich hab gehört, du hast das Haus verkauft.»
      «Stimmt», gestand Emily.
      «Es ist eine Schande. Die alte Truppe löst sich auf. Das mit Henry tut mir wirklich Leid.»
      Emily dankte ihr - ein Reflex, den sie verloren zu haben glaubte. Sie wollte sich nach Herb erkundigen, doch in seinem Beisein ging das nicht. Er hatte sich nicht vom Fleck gerührt und würde es auch nicht tun, ob aus Stolz oder Gebrechlichkeit, wusste sie nicht.
      «Ich glaube, ich habe dich noch nie diesen Wagen fahren sehen», sagte sie.
      «Auf dem Highway ist es in Ordnung. Du wärst überrascht, man gewöhnt sich dran.»
      «Du bist tapfer», sagte Emily.
      Als sie sich

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