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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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geradlinig auf die Flagge zu, und sie trat hoffnungsvoll vor, versuchte zu erzwingen, dass er ins Loch ging. Henrys Ball hatte das Vorgrün getroffen, war weitergehüpft, direkt aufs Loch zugerollt und verschwunden, während sie jubelten. Kenneths Ball schien dieselbe Flugbahn zu haben, stockte aber und fiel kurz vorm gegenüberliegenden Ufer in den Teich, tauchte dann wieder auf, als könnte er übers Wasser hüpfen - «Los!», sagte sie -, und blieb schließlich liegen, schwebend, unfassbar, ein weißer Punkt auf dem Wasser.
      «Was in aller Welt machst du bloß?», sagte sie, denn sie hatte wirklich daran geglaubt.
      «Ich hab'sja gesagt, es ist ein Schwimmball.»
      «Die Dinger fliegen doch nicht.»
      «Ich hab ihn nicht richtig getroffen», sagte er und streifte mit der Schlägerferse durchs Gras.
      Wie Henry legte er einen zusätzlichen straffreien Ball zurecht, schlug ihn aber in den rechten Bunker.
      Also blieb es ihr überlassen (wie alles andere in dieser Familie, dachte sie). Sie nahm ein Fünfer-Eisen, das würde ausreichen. Kenneths Ball schaukelte im seichten Wasser und lenkte sie ab. Die ganze Idee war idiotisch: Wer wollte schon mit seinen Fehlern konfrontiert werden? Besser, man ließ die Bälle auf den dunklen Grund sinken und im Schlick liegen, ihre helle Oberfläche Schlammfarben werden. Sie hatte von Golfplätzen gehört, wo man Sporttaucher anheuerte, die ganze Körbe voll aus dem trüben Wasser fischten, konnte sich aber nicht vorstellen, dass sich das hier, bei der kurzen Saison, lohnen würde. Die Bälle, die sie im Lauf der Jahre beigesteuert hatte, lagen wahrscheinlich noch immer dort unten, genau wie die von Henry, und sein berühmt-berüchtigter erster Ball drängte sich wie ein Solei mit seinen sepiabraunen Gefährten. Sie brauchte keinen unglaublichen Schlag zu machen, um sich zu ihm zu gesellen, bloß einen schlechten. Doch er musste redlich sein, nicht mit schlaffem Handgelenk gespielt. Bei zwei Versuchen schaffte sie das bestimmt.
      Eine Fliege surrte um ihren Ball, setzte sich kurz drauf und flog dann weg. Emily wedelte verspätet mit der Hand nach ihr und stellte sich wieder auf. Es wehte kein nennenswerter Wind, die Ranken der Gleditschien hinter dem Grün hingen senkrecht. Sie entspannte sich und holte aus wie bei jedem anderen Schwung, traf den Ball und schwang durch wie ein Profi, die Ellbogen oben.
      «Toll», sagte Kenneth, bevor sie den Ball entdecken konnte, da sein Schwimmball kurz ihre Aufmerksamkeit fesselte.
      Sie lag fast genau richtig, nur ein bisschen zu weit links. Der Ball beschrieb einen Bogen und senkte sich dann herunter, lang genug. Kenneth konnte noch sagen: «Der geht fast bis zum Flaggenstock», bevor der Ball aufsetzte, sauber vorn auf dem Vorgrün aufsprang und das Grün hinaufrollte, immer langsamer wurde und nach links wegging, als er sich dem Loch näherte, sodass keine Chance bestand, er aber verdammt nah herankam. Sie brauchte bloß aus anderthalb Metern einzulochen, um einen Birdie zu spielen.
      «Der beste Schlag des Tages», sagte Kenneth. «Sehr schön.»
      «Ich muss noch putten.»
      Halbherzig suchte sie ihr Tee und ging zum Wagen.
      «Willst du deinen zweiten Schlag nicht spielen?», fragte er möglichst beiläufig, doch sie sah, dass er sich um Traditionen und deren mangelnde Pflege Gedanken machte.
      In mancher Hinsicht - und hatte das Henry nicht verrückt gemacht? - war Kenneth genauso rührselig wie sie.
      «Nein», sagte sie. «Ich glaube, ich nehme den.»
      «Das kann ich dir nicht verdenken», sagte er, doch während der Fahrt dachte sie, dass das nicht stimmte.
      Sein Schwimmball war vom Ufer in die Rohrkolben getrieben, selbst für Henrys Teleskopgreifer zu weit entfernt, und ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihn liegen zu lassen. Die Gänse wichen nicht von der Stelle und beobachteten, wie sie vorbeigingen.
      Ihr Putt war keine harte Nuss, doch sie hatte Zeit, darüber nachzudenken. Sein Schlag mit dem Wedge war zu fest, der Ball hüpfte über das Grün hinaus. Er musste ihn wieder zurückspielen und dann ans Loch, und sie zog die Flagge heraus und sagte, er solle lieber zu Ende spielen, statt seinen Ball zu markieren.
      «Doppelbogey», grummelte er, trat zur Seite und inspizierte seinen Ball, als wäre er beschädigt.
      Die Vierergruppe hinter ihnen war nicht in Sicht. Vielleicht hatten sie doch noch Zeit, ein Foto zu machen. Das könnte das Loch für sie beide

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