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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Angebot nach, überzeugt, dass es überstürzt war. Zwei Angler trieben auf ihren schwenkbaren Sitzen vorbei, tippten an ihre Kappen, und Emily winkte gutnachbarlich mit einer leichten Drehung des Handgelenks. Einheimische, dachte sie, zumindest sahen sie so aus. Sie sagte nicht, es sei schon zu spät am Tag, um etwas zu fangen, obwohl sie regelrecht sehen konnte, wie Henry über die beiden den Kopf geschüttelt hätte.
      Wie viel Geld brauchte Margaret? Und reichte Emily das, was Henry ihr hinterlassen hatte, nach Abzug der Steuern nicht? Ihr Bankschließfach war voller Wertpapiere und Aktien, die Emily noch nie gesehen oder im Lauf der Jahre vergessen hatte. Heinz, PPG, Allegheny Ludlum. Sie hatte eine Stimmrechtskarte von Alcoa erhalten und gedacht, die Aktienanzahl müsse ein Tippfehler sein, aber nein, er hatte sie ebenso angehäuft, wie er diese aluminiumfarbenen Bleistifte von der Arbeit gesammelt hatte. Im ganzen Haus wimmelte es davon. Jedes Mal, wenn sie etwas auf die Einkaufsliste schrieb oder bei einem Rezept die halbe Menge ausrechnete, stellte sie fest, dass sie einen davon in der Hand hielt. In der Zeitung stand, der Kurs stehe bei gut sechzig Dollar, was hieß, dass ihr Aktienpaket mehr als hunderttausend wert war. Sie konnte mit ihrem Steuerberater sprechen und sehen, welche Möglichkeiten sie hatte. Das musste sie sowieso tun.
      Der Schatten der Eiche vorm Haus der Lerners bedeckte inzwischen den Steg, das andere Ufer vom milden Licht weich gezeichnet. Im Norden bauschten sich Gewitterwolken, die aus Ontario herüberwehten. Kenneth und die Kinder würden bald wieder da sein, hungrig vom Schwimmen.
      Sie wollte sich nicht vorstellen, was Margaret und Jeff zueinander sagten. Wenn Henry und sie sich gestritten hatten, waren sie sich aus dem Weg gegangen, die Waffe ihrer Wahl ein verstocktes Schweigen. Margaret hatte ein freches Mundwerk, das sie weder von ihr noch von Henry hatte, und Emily zuckte jedes Mal innerlich zusammen, wenn sie es hörte und Margarets Wutausbrüche verfolgte, da sie wusste, dass es nur ein Vorspiel war. Bei einem Grillabend hatte sie mal gesehen, wie Margaret Jeff in betrunkenem Zustand mit voller Absicht gegen den Hals geboxt hatte. Sie hatte eine Zigarette in der Hand gehabt, und der Stummel hatte Funken versprüht wie ein Feuerwerkskörper. Emily hatte Meg nie wieder jemanden schlagen sehen, aber seither hatte sie immer Angst um die Kinder gehabt und sich ihre Arme und Beine angeschaut, wenn sie zu Besuch kamen. Das war Gott sei Dank vorbei.
      Als sie das Gefühl hatte, lange genug gewartet zu haben, stand sie auf und ging zur Veranda zurück. Noch bevor sie die Tür öffnen konnte, sah sie Margaret neben der Garage stehen und rauchen, einen Arm um den Körper geschlungen, als wollte sie sich trösten. Als Emily näher kam, sah sie, dass Meg geweint hatte, ihre Augen waren verquollen.
      «Es geht mir gut», sagte sie fast beiläufig, als sollte sich Emily keine Sorgen machen. Als käme das ständig vor.
      Vielleicht stimmte das auch, und Emily wusste es nicht.
      «Kann ich irgendetwas tun?»
      «Du kannst mich höchstens umbringen.» Meg lächelte sie spöttisch an, gekünstelt und abweisend.
      «Ich versuche bloß, dir zu helfen.»
      «Das weiß ich zu schätzen», sagte Margaret. «Aber im Moment möchte ich nicht drüber reden, wenn's dir nichts ausmacht.»
      «Soll ich gehen und dich allein lassen, willst du das?»
      «Nimm doch nicht alles gleich persönlich.»
      «Ich hab nur gefragt, weil ich mir Sorgen um dich mache.» Emily spürte, wie sie sich auf einen Streit gefasst machte, und musste sich zügeln, tief Luft holen. «Ich lass dich allein», sagte sie, drehte sich um und rief Rufus.
      Im Haus ging sie direkt in ihr stickiges Zimmer, schloss die Tür und setzte sich aufs Bett wie ein ausgescholtenes Kind, rieb mit den Händen über die knotige Chenilledecke und überlegte, was sie anderes hätte sagen können. Egal, was sie gesagt hätte, Margaret hätte genauso reagiert. Emily hatte keinen Einfluss auf sie oder vielleicht einen negativen, sie stießen sich ab wie zwei Magnete, waren aus demselben Holz geschnitzt.
      Mit einem Knirschen und einem hydraulischen, misstönenden Kreischen bog Arlenes Wagen in die Einfahrt und glitt am Fenster vorbei. Emily begriff, dass Margaret Arlene als Vermittlerin akzeptieren würde, dass sie, wenn sie auch nicht das Gefühl hatte, auf gleichem Fuß mit ihrer Tante zu stehen, zumindest

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