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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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gehabt hatten. Die vergeudete Mühe ließ der Lehrerin in ihr keine Ruhe. Im Gegensatz zu Emily war sie nie am Buckingham Palace gewesen und fragte sich, von wann das Bild stammte. Aus der Zeit vor vierzig, fünfzig Jahren, als sie hätte hinfahren sollen und Walter mit ihr in steifen Hotelbettlaken gelegen und den Zimmerservice bestellt hatte, während sie duschte. Das Puzzle würde unvollendet bleiben, in die Schachtel gefegt, die zusammenhängenden Teile steif wie handgeklöppelte Spitze, und sie hatte den absurden Gedanken, es mit nach Hause zu nehmen, den Spieltisch aufzustellen, den sie zum Korrigieren benutzte, und schweigend bis spät in die Nacht unter der heißen Lampe daran zu werkeln. Sie konnte sich vorstellen, was Emily dazu sagen würde. Wo sie schon mal dabei war, konnte sie auch die Brettspiele mitnehmen.
      Hoffentlich konnten die Leute von der Wohlfahrt es gebrauchen, und ein unterprivilegiertes Kind aus Jamestown würde den spitzen Eisenzaun zusammensetzen. Sie sah vor sich, wie das Puzzle in einem feuchten Müllcontainer landete, die einzelnen Teile über gespendete Bettlaken und graue Unterwäsche verstreut. Das Puzzle hatte ihr nicht mal gefallen. Es war reiner Egoismus, kindisch, wie ihre unverzügliche Ablehnung des bloßen Gedankens an Point Chautauqua.
      Zum Teil war das Eifersucht, der uralte Schmerz darüber, dass sie erst von Emily und dann von den Kindern verdrängt worden war, ihr Geburtsrecht verschachert, bloß weil sie sich entschieden hatte, ihr eigenes Leben zu führen. Es war auch kindisch, in alten Wunden herumzustochern, und doch fand sie es manchmal gerechtfertigt. Nicht dass es im Moment etwas änderte.
      Sie würde alles mitnehmen. Stolz war ein schlechter Ratgeber. Sie begriff, warum Frauen in ihrem Alter auf jungenhafte Heiratsschwindler hereinfielen.
      Sie schaffte es in die Küche und blieb zwischen Kühlschrank und Spülbecken stehen, stand wie angewurzelt da, blinzelte mit halb geschlossenen Augen und konzentrierte sich. Sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, weshalb sie hergekommen war. Wegen Eistee? Einem Pfirsich?
      Dieses verdammte Puzzle. Ihrethalben sollte es ruhig verrotten.
      Was war es bloß ?
      Wie zu Hause verfolgte sie ihre Schritte zurück - sie hatte mit Emily zusammengesessen, war hereingekommen und hatte das Puzzle gesehen und als das keinen Erfolg hatte, sah sie sich nach irgendwelchen Anhaltspunkten um. Das Spülmittel stand honiggelb neben dem Spülbecken, die Teekanne stand kalt auf dem Herd. Auf der rotweiß karierten Tischdecke lag bloß ein Stapel Papierservietten, die reich verzierten, die Emily so gut gefielen. Draußen begannen schon die Zikaden zu zirpen, schrill wie bei einer elektrischen Ladung, nachlassend und sich dann wieder steigernd. Zu Hause würde es genauso sein, und eines Tages wären sie verschwunden, ihre Zeit vorbei, ihre leeren Hüllen an den Bäumen hängend.
      «O verflixt», sagte sie. Und dann fiel es ihr wieder ein.
     
     
* 4
     
    Ella beobachtete sie. Sie konnte nicht anders. Sie beobachtete, wie sie ging, wie sie in der zum Fenster hereinscheinenden Sonne stand, wie sie sich bückte, um ihren Schlafsack zuzuziehen. Sie beobachtete, wie ihr Körper das Nachthemd ausfüllte, wie sie ihr Haar zusammenraffte und die Haarspange zwischen den Zähnen behielt. Wenn sonst niemand da war, starrte Ella gedankenversunken vor sich hin oder rief sie sich ins Gedächtnis und bewunderte, wie vollkommen sie war. Es war krank.
      Und es war dumm. Es entmutigte sie bloß noch mehr.
      Sie rollte sich herum, damit sie nicht sehen musste, wie Sarah ins Bad ging, und bemühte sich dann, sich nicht anhand der Geräusche auszumalen, was sie gerade tat. Sarah machte die Tür zu, aber Ella konnte reingehen, ohne dass Sarah sich etwas dabei denken würde, also lag sie da und wartete, erforschte den hässlichen Dschungel des Teppichs und kam sich dumm vor.
      Das Wasser prasselte gegen die Duschkabine. Jetzt zog Sarah ihr Nachthemd über den Kopf, jetzt ging sie unter die Dusche, bekam vom Wasser eine Gänsehaut. Jetzt machte sie sich das Haar nass.
      Ella rollte wieder herum, damit sie aufhörte. Ihre Shorts von gestern erinnerte sie daran, dass sie ihre schmutzige Wäsche aufsammeln sollte, und sie rollte sich gähnend auf den Rücken, sodass sie zur Decke schaute, ihr Kopf ins Kissen gestützt, der Rest ihres Körpers durch die Schwerkraft und die Umstände auf den Boden gepresst. Sie wollte

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