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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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verdeckt gehaltenen Kartenblatts.
      Die Musik setzte wieder ein, heiter und freudvoll, wie ein Vogel im Flug. Drüben in Richtung Midway wurden die Vorbereitungen für eine Regatta getroffen, ein Schwarm Laserboote kreuzte hin und her, sie schlängelten sich wie Autos vor der Startlinie. Arlene war diesen Anblick gewohnt. Sie versuchte sich vorzustellen, wie die Boote vom anderen Ufer aussahen, doch es gelang ihr nicht.
      Es gab so wenig, woran man sich klammern konnte, dass schon die kleinste Veränderung ein Verlust war. Sie würde sogar die schrillende Alarmanlage der Lerners vermissen, den dumpfigen Geruch des seichten Wassers, die schimmeligen Zimmer.
      Sie war kurz davor, Emily rundweg zu fragen, ihr anzubieten, das Haus selbst zu kaufen, eine Anleihe auf ihre Lebensversicherung aufzunehmen.
      Natürlich würde sie das nicht tun. Konnte es nicht, aus einem gewissen Stolz heraus, einer unsichtbaren Grenze. Emily würde es ernst nehmen.
      Hinter den Bäumen kreischte gleichmäßig ein Motor - ein großes Schnellboot, doch sie konnten es nirgends entdecken, und dann rauschte etwas über sie hinweg, ein altes silbernes Wasserflugzeug, das niedrig über dem Wasser kurvte. Sie folgten ihm zögerlich mit den Blicken, bis der Lärm vorüber war.
      «Das ist bestimmt verboten», sagte Emily.
      «Eine schöne Maschine.»
      «Kenneth wüsste, was für ein Modell es ist.»
      Henry hätte es auch gewusst, doch keine von beiden sprach es aus. Sie lehnten sich zurück und betrachteten das Wasser wie eine Bühne, warteten darauf, dass noch etwas Interessantes auftauchte.
      Arlene dachte, dass sie morgen um diese Zeit für die Rückfahrt packen würden, und malte sich Pittsburgh aus, den heißen Park, ihre Wohnung muffig, weil nicht gelüftet worden war, ihre Pflanzen verwelkt. Früher hätte sie ihren Unterricht vorbereitet und geplant, wann sie welches Kapitel durchnahm. Jetzt fand sie die vor ihr liegenden Tage endlos, eine Zeit, die irgendwie ausgefüllt werden musste. Lesen und Ausflüge ins Frick Museum. Ihr gefiel der Park im Herbst, das Aufwirbeln der Blätter, die Wege, die sich unter der Brücke schlängelten. Sie hatte es letztes Jahr ausprobiert, als Henry im Krankenhaus lag, hatte aber schon aufgegeben, bevor sie an den Tennisplätzen vorbeikam. Sie wusste, wie leicht etwas zerstört wurde, und wollte das einer Sache, auf die sie angewiesen war, nicht antun. Stattdessen hatte sie ihn pflichtgetreu besucht, bis es ihr wie eine Krankenwache vorkam, was es mittlerweile auch gewesen war. Während des letzten Monats hatte er sich ständig dafür entschuldigt, dass sie seinetwegen so viel durchmachen mussten, und es stimmte ja, sie musste jeden Tag allen Mut zusammennehmen, um nicht darüber schockiert zu sein, wie seine dünnen Arme aus dem Nachthemd hervorschauten. Im Parkhaus hatte Emily über ihn geflucht, weil er sich Sorgen um sie und Arlene machte, als müsste er nur noch an sich denken, die Welt eine Zerstreuung, die seine Aufmerksamkeit nicht wert war.
      «Die kippen um», warnte Emily und deutete mit dem Finger aufs Wasser, sodass Arlene gerade noch sehen konnte, wie eins von den Laserbooten gefährlich krängte, bevor es sich wieder aufrichtete.
      «Da draußen bläst bestimmt ein ordentlicher Wind», sagte sie, und die Musik setzte wieder ein wie in einem Kinofilm und füllte die Stille aus. Die Bienen flogen im Zickzack durch die Krockettore. Sie hatte nicht viel zu packen, und doch wollte sie alles haben - den Kamin, die schrecklichen Vorhänge, als könnte sie ihre Wohnung in das Sommerhaus verwandeln, dieses Gefühl der Trägheit das ganze Jahr über aufrechterhalten.
      «Fährst du mit nach Panama Rocks?», fragte Emily.
      «Da muss ich leider passen.»
      «Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.»
      «Genau. Und du?»
      «Mrs. Klinginsmith wollte anrufen. Sind die Mädchen schon auf?»
      «Nicht dass ich wüsste.»
      «Sie sollten sich besser fertig machen, denn sie bleiben ja nicht hier.»
      Die Regatta war ein Gewirr aus Segeln. Sie mussten schon eine Boje umrundet haben. Die Musik wurde unterbrochen, und Emily nahm ihr Buch.
      «Soll ich dir irgendwas mitbringen?», fragte Arlene im Aufstehen.
      «Nein, ich hab alles.»
      Drinnen sah Arlene, dass das Puzzle erst halb fertig war, doch sie dachte, dass sie weder genug Energie noch Zeit hatte, um es zu vollenden. Es ergab keinen Sinn - es war vielleicht der schönste Tag, den sie

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