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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Kind, das sich für etwas schämte, was es getan hatte. Lise wollte sagen, dass es keine Rolle spiele, dass Ken sich nicht darum kümmern solle, was Emily denke, nachdem sie seine Erfolgsaussichten ständig klein geredet hatte, doch sie kannte Ken nur zu gut, deshalb nahm sie sich vor, sich herauszuhalten und ihn alles erklären zu lassen, da sie - genau wie er - wusste, dass sie sich bloß mit Emily streiten würde.
      Sie hätte zu Hause ihre Arbeit erledigen oder auf einem Handtuch am Strand liegen können. Das hier war kein Urlaub.
      Auf der Fahrt durch das grüne Randgebiet von Mayville mit den Autoreparaturwerkstätten und dem eingezäunten Umspannwerk merkte sie, wie sie in diese passive Trance verfiel, in der die Zeit schneller verging und die Außenwelt einfach vorüberglitt. Als Einzelkind stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, hatte Lise früh gelernt, einen Vorhang um sich zu ziehen, sich auch im Beisein ihrer Eltern eine gewisse Ungestörtheit zu bewahren, und diese Gabe war ihr erhalten geblieben. Sie wünschte, sie hätte ihr Buch mitgenommen, doch das wäre unhöflich, und die anderen hätten es ihr bestimmt übel genommen. Heute Nachmittag auf dem Boot war sie in Sicherheit, und vor dem Abendessen würde sie anbieten, die Hähnchen abzuholen. Dann waren bloß noch die paar Stunden vor dem Zubettgehen ungeschützt, aber dafür hatte sie Harry Potter.
      Es war erst der erste Tag.
      Einen Kilometer vor dem Flughafen waren auf beiden Seiten der Straße Autos schräg auf dem Gras geparkt, wie nach einem Unfall. Da stand Megs Bus, eingezwängt zwischen zwei uralten Kombis. Sie waren spät dran, daher beschloss Ken, zu den leicht zugänglichen, aber weit entfernten Parklücken weiterzufahren, und hielt direkt auf den Eingang zu (um Zeit aufzuholen, dachte Lise).
      «Ich weiß nicht», sagte sie.
      «Das größte Geheimnis beim Parken», erwiderte er, «ist, dass man optimistisch sein muss.»
      Auf sein Glück hinter dem Lenkrad bildete er sich etwas ein, und meistens fand er auch eine Parklücke direkt am Eingang eines Restaurants oder Theaters, obwohl der Parkplatz gedrängt voll war, und dann sagte er spöttisch: «Sie müssen gewusst haben, dass ich komme.» Aber als sie sich dem Eingang näherten, sahen sie, dass der Parkplatz den Ausstellern vorbehalten und mit einem Seil abgesperrt war.
      «Dumm gelaufen», sagte er und gab seine übliche Live-Reportage zum Besten. Sie mussten noch weiter auf die andere Seite fahren, um eine Parklücke zu finden, doch als sie zurückgingen, fuhr direkt am Eingang ein Pickup weg, und Ken stöhnte, als hätte er es wissen müssen.
      Sie wusste, dass er wegen des Putt-Putt geknickt war, aber auch, dass er jetzt nicht darüber reden wollte, deshalb sprach sie es nicht an, war bemüht, nicht nach irgendwelchen Anzeichen dafür zu suchen. Heute Nacht würden sie Zeit für sich haben. Sie dachte, dass alles besser würde, wenn sie miteinander schliefen. Das schien sie stets aufzuheitern, alles ins rechte Licht zu rücken.
      Der Flughafen bestand aus einem abgenutzten Asphaltstreifen zwischen zwei Maisfeldern und einem Fertigteilhangar mit Windsack an einem Ende. Das Flugzeug, mit dem man einen Rundflug machen konnte, surrte über sie hinweg, und danach war die Luft von einem Stottern und Schnaufen, von Abgasausdünstungen wie bei der Chautauqua Belle erfüllt. Es klang wie ferner Schlachtenlärm. Als sie näher kamen, sahen sie, dass auf der anderen Seite des Feldes alte Dampfmaschinen aufgebaut waren, deren Riemenscheiben und Schwungräder sich drehten. Einige der Dampfkessel waren größer als die alten Männer in Lederschürzen, die sie bedienten. Bei jedem Puffen stieg ein Rauchwölkchen auf, das über die Landebahn trieb und sich dann auflöste.
      «Guck sie dir doch mal an», sagte Ken, aber Sam war unbeeindruckt.
      «Ich möchte mit dem Flugzeug fliegen», sagte er.
      «Das kommt nicht in Frage», wies Lise ihm kategorisch ab, damit er wusste, dass es endgültig war.
      «Nie darf ich was machen.»
      «Stimmt», sagte sie, weil er es nicht ernst meinte, sondern sie bloß auf die Probe stellte. Sie hielt seine Hand und blieb an der Außenseite, während sie an dem kiesbedeckten Randstreifen entlanggingen.
      «Kann ich mir was kaufen?», fragte Sam.
      «Zum Beispiel?»
      «Keine Ahnung.»
      «Keine Spielzeugautos», sagte sie. «Davon hast du zu Hause mehr als genug.»
      «Wie wär's damit?», schlug Ken vor.

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