Abschied von Chautauqua
den Jahren plätscherte er noch immer, das Wasser tropfte in ein Becken, dessen Boden hellblau gefliest und mit dunklen Münzen gesprenkelt war. Sie versuchte sich vor Augen zu führen, wie ihre Mutter sie am Handgelenk hielt, wie sie zusammen den Penny warfen, wie ihre Finger sich öffneten und die Münze losließen. Was hatte sie sich gewünscht - oder hatte sich ihre Mutter etwas für sie gewünscht? Hatte auch Henry einen Penny bekommen? Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wollte nicht wissen, ob einer der beiden Wünsche in Erfüllung gegangen war. Ihr eigener hatte sich im Laufe ihres Lebens erfüllt und zugleich nicht erfüllt, und sie würde nicht darüber nachdenken, wenn Henry noch am Leben wäre, wenn das Sommerhaus nicht verkauft werden würde. Ihr Leben gehörte ihr und niemand anderem, sie hatte ihr Bestes getan.
Sie hatte ihre Handtasche dabei, öffnete sie und ließ den Geldbeutel aufschnappen. Sie hatte jede Menge Kleingeld. Sie kramte mit dem Finger darin, bis sie einen schönen glänzenden Penny gefunden hatte, und zog ihn heraus, doch bevor sie ihn ins Wasser warf, hielt sie inne und versuchte, sich den perfekten Wunsch auszudenken.
Dass ich immer hierher zurückkommen werde. Wie ein Kind schloss sie die Augen.
* 8
Justin versicherte seiner Mutter dreimal, dass er nicht am Steg schwimmen wollte. Er saß mit gesenktem Kopf auf ihrem Bett, während sie in Badeanzug und Flip-Flops vor ihm stand. Der Nagellack an ihren Zehen war abgesplittert wie das Porzellan einer zerbrochenen Schüssel.
«Aber du schwimmst doch gern. Letzte Woche hab ich dich kaum aus dem Schwimmbad gekriegt. Hilf mir mal, ich weiß nicht, wo hier das Problem liegt.»
Das Problem war das Wasser. Es war nicht so wie das Wasser im Schwimmbad, blau und nach Chemie schmeckend, wo das Licht Muster auf den Boden geworfen hatte. Hier war das Wasser grünbraun, und man konnte nicht sehen, was darunter war. Und es stank, wie im Keller, wenn es geregnet hatte. Es erinnerte Justin an den Inhalt der alten Plastikflaschen, die hinter dem Spielplatz im hohen Gras lagen. Wenn man auf eine drauftrat, dachte man, es wäre ein Ball, aber das stimmte nicht. Innen drin war eine Flüssigkeit, die wie Root Beer aussah, nur dass altes Gras untergemischt war und tote Bienen drauf rumschwammen.
«Ich hab einfach keine Lust», sagte er.
«Das ist keine Antwort. Ich kann euch nicht im Auge behalten, wenn ihr alle woanders seid, also zieh deine Badehose an. Du musst ja nicht ins Wasser, wenn du keine Lust hast.»
«Warum muss ich die Badehose anziehen, wenn ich nicht reingehe?»
«Alle haben ihr Badezeug an.»
«Warum kann ich nicht einfach meine Sachen anlassen?»
«Hör auf», sagte sie. «Hier wird nicht diskutiert. Ich weiß nicht, warum du solche Probleme machst, aber das kann ich im Moment überhaupt nicht gebrauchen. Zieh deine Badehose an und komm mit uns nach unten. Und bring dir ein Handtuch mit.»
Sie ließ ihn dort sitzen und polterte die Treppe runter. Einen Augenblick rührte er sich nicht, dann stand er auf, öffnete die untere Kommodenschublade und suchte nach seiner Badehose. Er ging ins Bad, um sie dort anzuziehen, und stellte fest, dass er pinkeln musste. Die Toilette roch so ähnlich wie der See. Als er aus dem Bad kam, fiel ihm das Handtuch ein, dann konnte er seine Badeschuhe nicht finden und schaute unter den Betten nach.
«Jus-tin!», rief seine Mutter die Treppe rauf.
«Ich komme», rief er.
«Gewöhn dir einen anderen Ton an.»
«Ich kann meine Badeschuhe nicht finden!»
«Die sind hier unten, ich hab sie schon mitgenommen.»
«Mein Gott», sagte er zu sich, wie sein Vater es immer getan hatte, wenn seine Mutter sie vom Fernsehen zum Abendessen rief. Wenigstens fuhren sie nicht mit dem Boot raus. Dann würde jeder sehen, dass er ein Feigling war. Er hatte keine Angst vor dem Wasser, sondern vor dem, was unter der Oberfläche war, den bleichen Händen, die nach ihm griffen, um ihn unter Wasser zu ziehen. Er wusste, dass es so was nicht gab, dass er das bloß im Fernsehen gesehen hatte, aber wenn er im Wasser war, spielte ihm seine Phantasie einen Streich, jede Pflanze fühlte sich an wie runzlige Finger.
«Was sagt man?», fragte seine Mutter, als er seine Badeschuhe überstreifte, aber er war so beschäftigt, dass er die Frage nicht verstand.
«Danke», sagte sie.
«Danke», wiederholte er.
«Sehr herzlich. Und jetzt
Weitere Kostenlose Bücher