Abschied von Chautauqua
Schublade voll von den großen McDonald's-Strohhalmen, mit denen sie Papierkügelchen verschossen, aber noch nie hatte sie einen Jungen mit einer Duftkerze oder einem gehäkelten Topflappen erwischt. «Das ist Zeitverschwendung», sagte sie, doch um der Gerechtigkeit willen bestand Emily darauf. Sie umrundeten den gesamten Platz, bevor sie es aufgaben und in dem Souvenirladen neben der Cafeteria billige, abgepackte Drachen kauften, die sie dann den ganzen Nachmittag mit sich herumschleppen mussten.
So eine kleine Unannehmlichkeit konnte nicht verhindern, dass Arlene beim Weitergehen dem Zauber von Chautauqua erlag. Mädchen, die Geigenkästen auf den Rücken geschnallt hatten wie Soldaten ihre Tornister, fuhren auf Fahrrädern vorbei, weil sie zu spät zum Üben kamen. Arlene kannte jede Straße und jeden Hain ganz genau, so wie die Kinder die Attraktionen in Kennywood Park kannten. Ebenso wie die Kinder hatte sie ihre Lieblingsorte. Das Amphitheater mit den dorischen Säulen. Den italianisierten Glockenturm mit dem roten Ziegeldach, dessen Uhr gewissenhaft mit einem einzigen wohlklingenden Glockenschlag die Viertelstunde anzeigte. Children's Beach und Palestine Park, das Diorama des Heiligen Landes, das wie eine riesige Sandburg gestaltet war. Die efeubewachsene Smith Library, wo sie sich stundenlang im Kindersaal aufgehalten hatte, das Licht im lackierten Fußboden gefangen. Das war unverändert - das Licht, wie es sich auf die Baumstämme legte, auf den Rasen fiel und von den Blumen abprallte. Auf bestimmten Straßen, aus einem bestimmten Blickwinkel hätte es wieder x938 oder 1946 sein können, und darin lag etwas Beruhigendes.
Nicht dass sie sich jene Jahre zurückwünschte oder die Gegenwart bedauerlich fand. Den Jahren nachtrauerte, die verstrichen waren. Ja, das war es. Sie zündete sich eine Zigarette an.
«Du bist furchtbar still», bemerkte Emily.
Sie konnte nicht sagen, dass sie die Bilanz ihres Lebens zog, dass sie überlegte, was verloren, versäumt, vergessen war. Diese Stimmung hatte sie plötzlich überkommen und würde vorübergehen wie ein Sommergewitter.
«Hab bloß nachgedacht», erwiderte sie.
«Meine Füße bringen mich um», sagte Emily.
«Meine auch.»
Vom Heinz Beach hätten sie, wenn ihre Augen noch so gut gewesen wären wie früher, am Prendergast Point ihren Steg zwischen denen ihrer Nachbarn sehen können. Stattdessen bewunderten sie das prachtvolle Sommerhaus, das mit Hilfe von Ketchup erbaut worden war, die vier mosaikverzierten Schornsteine und die neckischen Schnitzereien. Das waren genug Besichtigungen für einen Nachmittag, danke, sie hinkten zum Athenaeum zurück.
Wie geplant saßen sie um Viertel nach drei zum Tee auf der Veranda und waren den Leuten, die nach einem Vortrag aus der Hall of Philosophy strömten, gerade noch zuvorgekommen. Ringsum füllten sich die Tische; die Leute kamen in Gruppen die Wege entlang und diskutierten schwierige Fragen, mit gesenkten Köpfen in ihre Gespräche vertieft. Der Anblick erfreute die Lehrerin in Arlene. Das waren dieselben Leute, die sie jahrelang nach der Symphonie aus der Heinz Hall oder dem Benedum Center hatte kommen sehen, nur dass die hier Sandalen und Bermudashorts trugen. Sie gehörte unwiderruflich zu ihnen, genauso wie sie zu Emily gehörte, doch diese Erkenntnis war kein Trost, sondern schmerzte sie. Sie kannten von ihr bloß das schlichte Bild der Frau, die im Nussknacker oder im Oratorium neben ihnen saß, der Lektorin, die den Kindern in ihre Ministrantengewänder half, der Lehrerin, die ihnen am Ende des Elternsprechtags die Hand schüttelte. Wie Emily interessierten sie sich keinen Deut für sie. Auch jetzt gingen sie vorbei, konzentriert aufeinander, als befassten sie sich mit einem Leben, das viel tiefgründiger und komplizierter war, als ihres je sein würde.
«Übrigens», sagte Emily, «ich will, dass du den Fernseher im Wohnzimmer bekommst. Das Gerät ist so gut wie neu.»
Einen Augenblick lang wusste Arlene nicht, was sie sagen sollte, und dann bedankte sie sich zu überschwänglich. Sie guckte eigentlich kaum Fernsehen.
«Würdest du mich entschuldigen?», fragte sie, und Emily ließ sie gehen.
Sie wusste, wo die Toiletten waren, auf der rechten Seite des Foyers. Als sie das Foyer mit dem schwachen, künstlichen Licht betrat, erhob sich direkt vor ihr der Springbrunnen, in den sie einmal zusammen mit ihrer Mutter einen Penny geworfen hatte. Nach all
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