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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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aufhören willst», sagte Onkel Ken, «streck einfach den Daumen nach unten.»
      Sam sprang ins Wasser und schwamm in seiner Schwimmweste zum Schlauch. Er winkte, und Justin winkte zurück. Tante Lisa setzte sich neben ihn, damit sie Sam sehen konnte. Sie machte ein Riesengetue, bis sie ein Foto von ihm gemacht hatte.
      «Okay», sagte sie; Onkel Ken fuhr los, stand dann auf und schaute beim Fahren nach hinten.
      Das gelbe Seil straffte sich, und der Schlauch glitt übers Wasser. Sie fuhren schneller, und der Schlauch hüpfte mit Sam auf und ab. Er hielt sich fest, lächelte ihnen zu. Onkel Ken wendete in einem großen Bogen, der Schlauch schlitterte seitlich übers Wasser, und als er gegen eine Welle stieß, flogen Sams Beine in die Luft. Onkel Ken lenkte das Boot in die andere Richtung, der Schlauch schoss durch ihr Kielwasser und stellte sich schräg. Sam hielt sich fest.
      «Nicht so schnell», warnte Tante Lisa. Das Boot wurde langsamer, Sam streckte den Daumen nach oben.
      Was passiert, dachte Justin, wenn du runterfällst und ein anderes Boot dich nicht sieht und dich überfährt? Was, wenn du falsch auf dem Wasser aufkommst und dir das Genick brichst? Was, wenn deine Hand im Seil hängen bleibt und du dir das Handgelenk brichst?
      Sie fuhren noch einen Bogen, wobei sich das Boot zur Seite neigte, sodass er höher saß als Tante Lisa und sich am Rand festhalten musste, dann zog Onkel Ken es wieder gerade, sie wurden langsamer, und Sam streckte den Daumen nach unten.
      «Wer will als Nächstes?», fragte Onkel Ken.
      Sarah wollte.
      «Das war unglaublich», prustete Sam, während sie rausschwamm. «Das musst du probieren.»
      Verglichen mit Sam wirkte Sarah auf dem Schlauch ziemlich groß. Ihre Beine zappelten nicht so rum. Sie wollte, dass Onkel Ken schneller fuhr, und er tat ihr den Gefallen, bis Tante Lisa sagte, es wäre schnell genug.
      Ella fiel bei ihrer Fahrt zweimal runter, aber als sie die Leiter hochstieg, klatschte sie Sarah und Sam ab.
      «Okay, Justin», sagte Tante Lisa.
      «Na los,Just», drängte Sarah, «es ist ganz einfach», und dann spornten ihn alle an. Sie hatten es alle getan, es hatte ihnen Spaß gemacht und sah wirklich einfach aus. Er wusste, dass es blöd aussehen würde, wenn er noch länger wartete, also stand er auf. Tante Lisa half ihm, die Badeschuhe auszuziehen, auf den Sitz zu klettern, und hielt seine Hand, während er sich auf den glatten Bootsrand stellte.
      Hier draußen war das Wasser dunkler. Es war nicht zu erkennen, was unter der Oberfläche war. Er stellte sich vor, dass auf dem Grund des Sees ein Auto lag, mit einem Toten drin, der zur Wagendecke aufgetrieben worden war, das Gesicht gegen die Fensterscheibe gedrückt.
      «Spring einfach», rief Sarah.
      Und er wollte auch - er wollte es können -, aber seine Beine rührten sich nicht vom Fleck, und er klammerte sich noch fester an Tante Lisas Hand.
      «Wenn du nicht willst, ist das in Ordnung», sagte sie.
      «Ich fahr nochmal», meldete sich Sam.
      «Ich mach's ja», sagte Justin.
      «Dann los», drängelte Sam.
      «Er wird's schon machen», schimpfte Ella.
      «Nicht so ein Druck, ja?», sagte Onkel Ken.
      Jetzt warteten sie auf ihn, und er fragte sich, warum er sich auf den Bootsrand gestellt hatte, warum er ins Boot gestiegen war, warum er überhaupt seine Badehose angezogen hatte. Er konnte nicht ins Boot zurückgehen, sonst würde er das nicht nur den Rest der Woche, sondern den Rest seines Lebens zu hören kriegen. Es würde sich in eine Geschichte verwandeln, wie damals, als er sich als Baby die Erbsen in die Nase gesteckt hatte oder als er am Flughafen auf der Rolltreppe gestürzt war und nach dem Bein der fetten Frau gegrapscht hatte. Beim Abendessen würde irgendwer mit der Geschichte anfangen, und dann würden alle einstimmen. An Weihnachten oder im nächsten Sommer würde er sie zu hören kriegen. Alle würden lachen, und dann müsste auch er lachen.
      Er musste bloß Tante Lisa loslassen und sich vorbeugen. Die Schwimmweste würde ihn über Wasser halten - aber was, wenn das nicht klappte? Vielleicht war sie schon alt. Was, wenn sie voll Wasser lief und er sie nicht rechtzeitig ausziehen konnte?
      Er ließ los und taumelte zurück, fuchtelte dann mit den Armen und stürzte nach vorn.
      «Okay!», schrie Sam, dann fiel Justin, und das Wasser kam immer näher.
      Er klatschte aufs Wasser und ging unter - eiskalt, er ächzte vor

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