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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Die Rechenaufgabe löste sich in Luft auf. Emily war unzeitgemäß, das Produkt eines anderen Jahrhunderts, wie ihre Großeltern. Alles, was sie geliebt hatte, war verschwunden, alles, was sie kannte, war nutzlos, all die Lieder und Tänze, die tollen Rezepte, wie bei einer alten Frau, deren Kleider längst unmodern sind. Doch genau das war sie, ganz und gar nicht erstrebenswert: eine alte Frau. Das hätte sie nie für möglich gehalten.
      Das Gemüse war fertig. Jetzt brauchten sie bloß noch die Cracker für den Käse. Im Haus war es ringsum still. Sie dachte, dass sie gern Musik hören würde, doch bevor sie einen Schritt in Richtung Kassettenrecorder machen konnte (vielleicht benutzte ihn einer der Jungs), hielt sie inne, um dem Brummen eines Rennboots weit draußen auf dem See und dem Rascheln der Blätter zu lauschen, das wie das Rauschen im Radio klang. Sogar die Luft im Haus war voller Schwingungen, körperlos und zugleich elektrisch, kein Summen, sondern eine Art konzentrierte Geräuschlosigkeit, die sich durch ihr Gehör schlängelte.
      In der Ferne bellte ein Hund - nicht Rufus, aber es erinnerte sie daran, dass er sein Futter brauchte. Sie bückte sich nach seinem Napf und wäre fast gestürzt.
      «Immer sachte», sagte sie, als wäre sie ein Pferd.
      Da war noch etwas, woran sie sich erinnerte: der Scherenschleifer, der in seinem Pferdewagen vorbeikam und mit einer Glocke läutete.
      Die Tüte war unhandlich, und Emily verschüttete das Hundefutter auf der Arbeitsplatte und dem Fußboden.
      «Tollpatschig.» So hatte ihre Mutter sie genannt. Dabei war es um eine umgeworfene Soßenschüssel gegangen, die Tischdecke ein einziger See, und dann war ihr Vater hinter ihr hergekommen, nach oben, wo sie sich im Dunkeln versteckte, und hatte gesagt, es sei nicht ihre Schuld, das hätte jedem passieren können. Es war ein Feiertag gewesen, doch ob Weihnachten oder Thanksgiving, konnte sie nicht mehr sagen.
      Sie schaufelte das Futter auf und füllte den Napf, stellte ihn auf den Fußboden und wusch sich die Hände. Sie verstand nicht, wie er dieses Zeug Tag für Tag fressen konnte.
      Der Scotch rann ihr jetzt locker durch die Kehle, und sie dachte, dass sie sich besser in Acht nahm. Sie warf drei Eiswürfel ins Glas und bedeckte sie mit Alkohol, bis der Model A völlig untergetaucht war. Wieder sah sie sich in der Küche um, als hätte sie etwas vergessen, doch sie fand nicht heraus, was es war.
      Als sie die Veranda betrat, blickte Margaret von ihrer Zeitschrift auf. Die Jungs waren auf dem Steg.
      «Wollen sie angeln?», fragte Emily. «Wir haben das ganze Zeug von deinem Vater in der Garage.»
      «Sie spielen mit ihren Game Boys. Sie halten sich für raffiniert.»
      «Aha. Wie viel Zeit bleibt ihnen noch?»
      Margaret drehte das Handgelenk. «Elf Minuten, zwanzig Sekunden.»
      «Wolltest du einen Drink?»
      «Ich sollte eigentlich nichts trinken.»
      «Warum denn?»
      «Willst du das wirklich wissen?», fragte Margaret, und es war keine Kampfansage, klang nicht herausfordernd, so wie sie manchmal sein konnte.
      Seit der Trennung kam sie Emily gebrochen vor, und obwohl es jetzt leichter war, mit ihr zu reden, war es niederschmetternd. Sie hatte schon immer mehr Schwung als Kenneth gehabt. Emily hatte sich nie Sorgen darüber gemacht, dass Margaret ihren Weg gehen würde, doch jetzt sah es aus, als hätte sie sich geirrt.
      «Ja, ich will es wissen.»
      «Wirklich?»
      «Wir wollten schon vorher reden», erinnerte sich Emily.
      «Wir reden jetzt», widersprach ihr Margaret. Sie blickte zu den Jungs hinüber. «Vorher wollte ich dir noch sagen, dass nächste Woche die Scheidung durchkommt.»
      «Nächste Woche.» Obwohl Emily schon seit Jahren auf diesen Augenblick gefasst war, dachte sie, dass sie mehr Zeit brauchte. Es war nicht so, als hätte sich etwas geändert. Jeff war nicht so stark gewesen, zu der Hochzeit nein zu sagen, und dann war er nicht so stark gewesen, mit Meg auszukommen. «Tut mir Leid.»
      «Du klingst nicht überrascht.»
      «Müsste ich überrascht sein?»
      «Nein», sagte Margaret, als wollte sie sich nicht streiten. «Wenn du sagen willst, ich hab's dir ja gleich gesagt, dann tu's.»
      «Das würde ich nie tun.»
      «Selbst wenn du wolltest.»
      «Selbst wenn ich wollte.»
      «Aber es gibt ein Problem.»
      «Was denn?»
      «Erinnerst du dich noch an den Unfall, bei dem ich mir das Knie

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