Abschied von Chautauqua
sagte, sie mache mit Rufus seinen Abendspaziergang. Ken wünschte, er hätte etwas zu lesen mitgebracht, etwas, woran er arbeiten konnte. Er konnte nicht gut abschalten, konnte sich nicht so entspannen wie sein Vater im Ruhestand, wo er Blätter zusammengeharkt und wie ein Gespenst im Keller herumgewerkelt hatte.
Wenn es regnete, konnte er ausschlafen. Was sie mit dem Rest des Tages anfangen würden, wusste er nicht. Ins Kino gehen? Lise brauchte es, mal aus dem Haus rauszukommen. Vielleicht konnten sie zur Book Barn fahren und den ganzen Nachmittag lang die Regale voll rissiger Taschenbücher durchforsten. Oder ins alte Kasino mit der welligen Tanzfläche und dem Keller voller Videospiele - Lises Vorstellung von der Hölle. Es gab keine große Auswahl, und die Kinder interessierten sich nicht für Antiquitäten.
Die Jungs mussten bald ins Bett. Er würde sie nach oben bringen und dann zur Belohnung ein Stück Kuchen essen. Die Mädchen kamen allein zurecht, und seine Mutter würde früh ins Bett gehen. Er hatte nicht vergessen, dass Lise auf dem Steg mit ihm schlafen wollte. Oben im Badezimmerschrank lag eine alte Armeedecke. Er ging hinauf und nahm sie heraus. Die Mädchen lagen lesend auf ihren Schlafsäcken und kümmerten sich nicht um ihn. Er ließ die Decke am Fuß der Treppe liegen, sodass sie hinter der geschlossenen Tür verborgen war.
Es war zu spät, um noch ein Bier zu trinken, deshalb entschied er sich für Limonade; im Licht des Kühlschranks sahen die wenigen Lebensmittel, die sie dahatten, kläglich und hoffnungslos aus, wie die Rationen eines Junggesellen. Meg kam mit einer unangezündeten Zigarette herein, sagte «Hey» und forderte ihn mit einem Nicken auf, ihr durch die Hintertür nach draußen zu folgen.
Bevor sie ihn aufklärte, zündete sie die Zigarette an. «Ich hab Mom alles erzählt und finde, das solltest du wissen. Nächste Woche wird die Scheidung vollzogen.»
Sie lächelte entschuldigend im Dunkeln, zuckte mit den Schultern, und er nahm sie in die Arme. Den Arm um ihn gelegt, ihr Kinn auf seiner Schulter, zog sie an ihrer Zigarette. Selbst jetzt mimte sie die starke Frau, machte sich los und wich zurück. Sie hätten in der High School sein, am Schornstein rumhängen und aufs Klingeln warten können.
«Tut mir Leid, dass ich's dir nicht früher gesagt hab, aber ich dachte ...»
«Ist schon okay. Wie hat's Mom aufgenommen?»
«Erstaunlich gut.»
«Gut», sagte auch er, merkte aber, dass er gekränkt war. Er hatte ihre Geheimnisse immer bewahrt. Er brauchte ihre Vertrautheit, das wussten sie beide. Im Frühling hatte sie ihre Anrufe eingestellt, und er hatte zweimal nachgegeben und ihre Nummer gewählt.
«Das Tollste ist, ich hab ihr von der Reha erzählt.»
«Nein.» Das hieß, auch von dem Unfall.
«Nicht alles», versicherte sie ihm.
«Warum?»
«Keine Ahnung, einfach, um alles zu erklären. Wenn sie dich fragt, dann weißt du von nichts.»
«Geht in Ordnung», sagte er, war sich aber nicht sicher.
«Du kannst mir gratulieren. Oder auch nicht.»
«Tut mir Leid.»
«Mir eigentlich nicht. Es ist nicht so toll gelaufen. Du weißt schon.»
«Ich weiß», sagte er.
Das meiste hatte er übers Telefon erfahren und ihr auch dann geglaubt, wenn ihre Anschuldigungen verrückt klangen. Er glaubte nicht, dass Jeff absichtlich keine Zeit für die Kinder hatte, um ihnen wehzutun, oder dass sein Verlangen nach einer anderen Frau ein Beweis für seine geistige Labilität war. Ken war selbst Ehemann, hatte von Natur aus eine andere Ansicht über das, was passiert war, doch die daraus folgenden Schuldgefühle verhinderten, dass er bei seinen Ratschlägen völlig aufrichtig war. Dass sie sowieso nicht auf ihn gehört hätte - dass sie und Jeff sich nicht mehr liebten -, spielte keine Rolle. Er hatte sie irgendwie im Stich gelassen. Obwohl er wusste, wie albern das war, hätte er sich am liebsten dafür entschuldigt, dass er noch verheiratet war.
«Und was willst du jetzt tun?», fragte er.
«Absolut keine Ahnung. Versuchen, das Haus zu behalten, bis die Kinder aus der Schule sind, und dann so schnell wie möglich verschwinden.»
«Hört sich klug an.»
«Ich seh keine andere Möglichkeit. Das Problem ist, dass ich s mir nicht leisten kann.»
«Ich wollte sagen ...» Er und Lise hatten letztlich dasselbe Problem. Bis jetzt hatte er zu ihren Eltern nein sagen können, aber das ging
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