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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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vorbei, von den Pappmachefelsen strömte im Regen das Wasser herunter. Vor dem Kino drängte sich eine Menschenmenge, und Lise war froh, dass Ken freiwillig mit den Kindern gefahren war.
      «Wo würdest du gern essen?», fragte Meg.
      «Egal. Nicht bei McDonald's. Irgendwo, wo wir uns hinsetzen können.»
      «Wie wär's mit chinesisch?»
      «Ich weiß, welches Lokal du meinst. Klar.»
      Es war billig, ein Familienrestaurant, Wärmepfannen über Sterno, vergilbte Kritiken, die eingerahmt im Flur hingen. Besser als das Hähnchen, dachte sie.
      Doch das Lokal war geschlossen, dem brandneuen Denny's auf der anderen Straßenseite zum Opfer gefallen. Die Fenster waren dunkel, mit weißem Papier abgeklebt, an der Tür ein großes Schild mit der Aufschrift ZU VERMIETEN, der Beweis für sein Scheitern. Meg drosselte das Tempo, und sie gafften, als kämen sie an einem Unfall vorbei, fuhren dann weiter.
      «Beim Einkaufszentrum gibt es ein Red Lobster», schlug Meg vor.
      «Was soll's», sagte Lise. «Wir müssen sowieso zu Wal-Mart.»
      Nur mit Mühe fanden sie einen Parkplatz, und als sie reingingen, war die Vorhalle voller Menschen. Lise fragte sich, wo die ganzen alten Leute herkamen. Es war eine Kleinstadt, und dem Einkaufszentrum nach zu urteilen war sie auf dem absteigenden Ast. Die Empfangsdame sagte, sie müssten höchstens zehn Minuten warten, deshalb stellten sie sich neben das sprudelnde Hummerbecken, und Lise, deren Nase sich schälte, hatte das Gefühl, alle Blicke auf sich zu ziehen.
      Es ist ein sicherer Ort, dachte sie. Aus einem Red Lobster wird niemand entführt.
      Meg beugte sich rüber und flüsterte: «Wir sind hier die Jüngsten.»
      Es stimmte. Auf der Polsterbank an der Wand saßen nur ältere Leute, die Männer in altmodischen Anzügen und breiten Krawatten, das Haar der Frauen schneeweiß und starr wie Fiberglas.
      «Die haben bestimmt heute Ausgang», murmelte Lise und hoffte, dass niemand es gehört hatte. Sie konnte nur schlecht einschätzen, wie alt jemand war, aber diese Leute mussten Ende siebzig, vielleicht auch schon über achtzig sein. Emily war Anfang siebzig, nicht allzu weit von ihnen entfernt. In zehn Jahren würde Lise fünfzig sein, ein Alter, das ihr unglaublich vorkam.
      Das war kein Thema, über das man länger nachdenken sollte, nicht an einem Tag wie diesem, und sie blickte hoffnungsvoll zum unbesetzten Pult der Empfangsdame hinüber. Die Wände waren mit Netzen, Rudern und Hummerkörben geschmückt, ein eindeutiger Mangel an Phantasie. Jedes Mal, wenn jemand die Tür öffnete, fegte ein feuchter Windstoß herein.
      «Sollen wir's woanders probieren?», fragte Meg.
      «Nein, jetzt sind wir hier. Ich krieg bloß das kalte Grausen, wenn ich daran denke, wie alt wir schon sind.»
      «Wir sind doch nicht alt.»
      «Ich fühle mich alt», sagte Lise. «In zwei Wochen kommt Ella auf die High School.»
      «Sarah auch, aber ich fühl mich nicht alt. Ich mach mir über vieles Gedanken, aber nicht über mein Alter.»
      Lise wollte Meg fragen, was sie damit meinte, glaubte aber, sie hätte kein Recht dazu. Als wollte sie selbst auch ein Geständnis beisteuern, sagte sie: «Ich hab das Gefühl, ich hätte mehr tun können.»
      «Das geht allen so», erwiderte Meg, aber so beiläufig, dass sie sich, wie Lise erkannte, hier in der Eingangshalle nicht auf ein Gespräch einlassen würde.
      Die Empfangsdame führte die alten Leute als Gruppe hinein, bedankte sich dann bei Lise und Meg ohne das geringste Bemühen um Aufrichtigkeit für ihre Geduld und brachte sie zu einer Nische, wo auf dem Tisch noch die vom Wischlappen hinterlassenen Wassertropfen zu sehen waren. Sobald sie gegangen war, wischte Lise mit ihrer Papierserviette den Tisch ab und legte sie an die Kante, damit die Kellnerin sie mitnahm. Die Alten saßen auf der anderen Seite des Saals, doch die meisten Nischen ringsum waren unbesetzt.
      «Und warum mussten wir warten?», fragte sie.
      Es spielte keine Rolle. Es ging darum, Zeit totzuschlagen, den Nachmittag ohne Emily, Ken und die Kinder zu verbringen, und es funktionierte. Sie redeten über Nichtigkeiten, über Filme und chemische Reinigung, über Politik und Teppiche. Lise hätte sich gern einen Margarita bestellt, doch mit Rücksicht auf Meg trank sie eine Diät-Pepsi. Die Speisekarte war umfangreich und nichtssagend, als hätte ein Kind sie entworfen. Zu allem gab es Fritten und Krautsalat.
      «O Gott»,

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