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Abschied von der Küchenpsychologie

Abschied von der Küchenpsychologie

Titel: Abschied von der Küchenpsychologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Nolting
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kopfrechnen usw. – mehr nicht. Man kann dadurch nicht auch effektiver lesen und lernen, logischer argumentieren, komplizierte Sachverhalte besser durchschauen oder auch nur vermeiden, dass man Namen vergisst oder den Platz, an dem man seine Brille abgelegt hat. Dabei sind es doch gerade solche lebensnahen Wirkungen oder gar eine Vorbeugung gegen Demenzerkrankungen, die man sich von dem Training erhofft.
    Die Befunde sind eigentlich nicht überraschend, denn sie entsprechen altbekannten Ergebnissen der Transferforschung, auch denen zur Wirkung von Schulfächern: Man findet spezifische Effekte, aber keine, die über den jeweiligen Stoff oder Aufgabentyp hinausreichen. Und nicht anders ist es mit Übungen, die sich als Intelligenztraining bezeichnen. Man übt mit Aufgaben, die für Intelligenztests typisch sind und nicht bestimmte Wissensgebiete bevorzugen, und vielleicht schneidet man dadurch im Intelligenztest etwas besser ab, weil man nun mit den Aufgabenarten und dem Tempo der Bearbeitung vertraut ist. Aber ist man damit auch wirklich intelligenter? Lernt man jetzt schneller in neuen Sachgebieten, liest man jetzt Bücher mit mehr Verständnis, schreibt man jetzt klarere Texte, kommt man jetzt mit Mathe-Aufgaben besser zurecht? Dies alles ist nicht zu erwarten (s. auch Kapitel  8.1 zu Intelligenz).
    Wenn die Effekte an den geübten Lernstoff gebunden bleiben, so spricht dies dafür, dass man sich hier verbessert hat, weil sich im Kopf neue
spezifische
Verbindungen gebildet haben, weil also in eben diesem Bereich Wissen erworben oder Fertigkeiten automatisiert wurden. Welche Bedeutung solch spezifisches Wissen selbst bei scheinbar reinen Denkaufgaben hat, beweist jenes Spiel, bei dem viele Laien nur Logik und strategisches Denken am Werke sehen und das geradezu als ideales Denktraining erscheinen mag: beim Schach.
    Stellen Sie sich vor, man zeigt Ihnen für einige Sekunden eine Schachbrettsituation und Sie sollen anschließend alle Figuren wieder so aufstellen, wie sie zuvor gestanden haben. In einem klassischen Experiment von Chase und Simon zeigte sich, dass diese Aufgabe für Schachmeister gar kein Problem ist, wohl aber für Schachanfänger. Da könnte man denken: Was für ein tolles Gedächtnis und eine tolle Vorstellungsfähigkeit die Schachmeister haben. Aber die Forscher wiederholten den Versuch mit einer kleinen Abwandlung: Die Figuren waren diesmal in zufälligen Positionen aufgestellt – so, wie sie in einem Schachspiel nie stehen würden. Und siehe da, die Meister behielten die Aufstellung nicht besser als die Anfänger. Die Erklärung: Die Meister haben Tausende von Schach
konstellationen
im Gedächtnis, und die ihnen präsentierte Aufstellung erkennen Sie sofort als eine vertraute Konstellation. Im zweiten Versuch ging das nicht. Hier mussten sie sich, genau wie die Anfänger, die Position jeder einzelnen Figur einprägen. Anders gesagt: Im ersten Versuch war die Aufgabe sinnhaltig (= Schachkonstellation), jedenfalls für die Meister, im zweiten Versuch hingegen sollten sie sich eine Ansammlung merken, die keinen Sinn ergab.
    Schachspieler «denken» also nicht nur, sie stützen sich auf abrufbares Wissen, auf ganz spezifisches Schachbrettwissen. Wer sich eine Konstellation sofort merken kann, weil er davon Tausende in seinem Gedächtnis gespeichert hat, wird aber nicht auch als Kellner sämtliche Bestellungen im Kopf behalten, und genauso wenig wird er sich als genialer Militärstratege bewähren. Falsch ist eben die Idee, man könne das Denken oder das Behalten per se, also ohne inhaltlichen Kontext, trainieren.
    Was wirklich nützt
    In einem ebenfalls klassischen Experiment hat Herbert Woodrow schon 1927 untersucht, ob bloßes Auswendiglernen von Gedichten und anderem Lernstoff «das Gedächtnis» trainiert. Wenn ja, müsste es durch das Üben auch bei andersartigen Aufgaben Steigerungen geben; bei Woodrow waren das z.B. englisch-türkische Vokabeln und Geschichtszahlen. Während die eine Gruppe wiederholt auswendig lernte, verbrachte eine Vergleichsgruppe hiermit nur wenig Zeit, wurde dafür aber instruiert, wie man Strategien zum besseren Behalten nutzen kann (Gruppieren von Lernstoff, bildliches Vorstellen, sich selber prüfen u.a.). Ergebnis: Während das einfache Üben kaum eine Wirkung zeigte, ergab sich bei der Strategiegruppe eine erhebliche Steigerung.
    Viele Untersuchungen haben den Nutzen guter Lernstrategien bestätigt. Es gibt aber keine optimale Strategie, vielmehr braucht man

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