Abschied von der Küchenpsychologie
lautete die Frage: Wie kommt das
Verhalten
(eine Wortmeldung etc.) zustande? Das Verhalten war insofern das zu erklärende «Produkt», und die Erklärungen wurden als tiefere Ebenen dargestellt. In der Tafel hier geht es hingegen um die Ausdifferenzierung der inneren Prozesse und die Darstellung eines
Geschehen
s. Und zu diesem Geschehen gehört, dass es nach dem Verhalten
weitergeht
, dass das Verhalten
einwirkt
(z.B. auf ein Material, auf andere Menschen) oder auch zurückwirkt auf innere Prozesse (Spielen «macht» Spaß). Diesen fortlaufenden Strom soll die Grafik andeuten.
Aber: Wie es ein Schema so an sich hat, vereinfacht es die Dinge. Das gilt schon für die Aufgliederung der inneren Prozesse. Denn tatsächlich sind sie nicht klar unterscheidbar, sondern eng verflochten, oder sie sind verschiedene Seiten eines Gesamtprozesses. Es müssen auch nicht immer alle Prozesse beteiligt sein. So spielt planendes Denken kaum eine Rolle bei impulsivem Verhalten oder eingefahrenen Gewohnheiten. Weiterhin muss ein Vorgang nicht immer bei der Wahrnehmung beginnen, vielmehr kann etwa eine Emotion die Wahrnehmung beeinflussen; Beispiel: Wer Angst hat, hört bedrohliche Geräusche. Was das Schema gleichfalls nicht darstellen kann, ohne unübersichtlich zu werden: Menschen können nicht nur die Umgebung, sondern auch sich selbst wahrnehmen, sie können über sich nachdenken, auf sich selbst einwirken usw.
Sind die aktuellen Prozesse alle bewusst? Nein, nicht unbedingt. Alle Vorgänge, nicht nur Gefühle und Motivationen, auch Teile des Wahrnehmens oder Denkens können unbewusst ablaufen. Wir machen manches völlig automatisch, treffen Bauchentscheidungen oder haben plötzlich eine gute Idee, ohne zu wissen, wie wir darauf kommen. Dass solche Prozesse unbewusst ablaufen können, bedeutet aber nicht, dass man eine abgegrenzte «Schicht» des Unbewussten annehmen sollte, wie etwa das «Es» in der klassischen Psychoanalyse (s.S. 108 ). Zwischen «bewusst» und «unbewusst» gibt es keine scharfe Grenze, sondern auch Zwischenstufen wie bruchstückhaftes Erkennen oder vages Erspüren.
Es folgen nun einige knappe Erläuterungen zu den psychischen Prozessen Wahrnehmung, Denken, Emotion, Motivation und Verhalten.
Wahrnehmung
Die Sinnesorgane sind sozusagen die Eingangspforten für physikalische Reize wie etwa Lichtwellen, Schallwellen, Temperaturen usw. Aber Sinnesorgane allein erzeugen noch keine Wahrnehmung; die entsteht erst im Gehirn. Im psychologischen Sinne ist mit Wahrnehmung eine erkennende Wahrnehmung gemeint. Wenn ein Laie auf ein Röntgenbild schaut und nur schwarz-weiße Schattierungen sieht, sind das Sinneseindrücke, doch wenn er einen Knochen erkennt, ist das eine Wahrnehmung. Die Wahrnehmung macht aus physikalischen Reizen eine Sache mit Bedeutung. Nur wenn wir bedeutungshaltige Gebilde sehen («Blaulicht») oder hören («Vorsicht, Unfall!») erfüllt die Wahrnehmung ihre eigentliche Aufgabe, nämlich
Orientierung
in der Welt zu ermöglichen. Dazu muss Vorwissen in die Wahrnehmung einfließen.
Zum Gutteil ist die Wahrnehmung also ein «Machwerk» der wahrnehmenden Person und nicht einfach ein getreues Abbild der Umgebung. So können mehrere Personen mit gleich funktionstüchtigen Sinnesorganen dieselbe Umgebung sehr unterschiedlich wahrnehmen. Dies zeigt sich unter anderem bei Zeugenaussagen zu einem Vorfall.
Die Wahrnehmung ist immer
selektiv
, das heißt, wir verarbeiten immer nur einen Teil der objektiv vorhandenen Reize – zum Glück, denn sonst würden wir wegen totaler Reizüberflutung jede Orientierung verlieren. Manchmal steuern wir den Auswahlvorgang ganz bewusst, indem wir unsere
Aufmerksamkeit
auf bestimmte Sachverhalte richten; aber das Auswählen geschieht auch «von selbst». Unter anderem hängt es von unseren Einstellungen, Interessen und Kompetenzen ab,
wofür
wir besonders empfänglich sind, wofür wir «einen Blick» oder ein «geschultes Ohr» haben.
Solche Faktoren beeinflussen nicht nur die Selektion, sondern auch das Ordnen der Reizfülle, die
Organisation
in der Wahrnehmung. Zum Beispiel können wir in einer Zeichnung auf einem flachen Blatt Papier nicht nur Striche und Flächen, sondern sogar Körper und räumliche Tiefe sehen. Diese Fähigkeit ist teilweise eine Sache des Lernens, wie das Beispiel in der Tafel zeigt. Denn die Tiefenwahrnehmung bei einer perspektivischen Zeichnung gelingt nur dann, wenn man mit solchen Darstellungen vertraut ist. Manche Volksstämme haben nicht
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