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Abschied von der Küchenpsychologie

Abschied von der Küchenpsychologie

Titel: Abschied von der Küchenpsychologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Nolting
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so verhalten
sollte
, das Verhalten somit eigentlich situationsbedingt war. In einem anderen Experiment betrachteten die Beurteiler einen in einem «Redewettbewerb» geäußerten politischen Standpunkt überwiegend als Ausdruck der wirklichen Einstellung des Redners, auch wenn sie informiert worden waren, dass ihm dieser Standpunkt vorgegeben war.
    Was hier passiert ist, wird in der Psychologie als «fundamentaler Attributionsfehler» (Zuschreibungsfehler) bezeichnet. Es ist die Tendenz, vom Verhalten eines Menschen auf persönliche Eigenschaften, Einstellungen etc. zu schließen, selbst wenn sich dieses Verhalten durch offensichtliche Situationsfaktoren (in den Experimenten: durch die Anweisung) gut erklären lässt. Wie selbstverständlich scheint das, was ein Mensch tut, aus ihm selbst zu entspringen.
    Die Verschmelzung von Verhalten und Person wird durch unsere Sprache unterstützt. Man sagt: «X
verhält sich
dominant …, feindselig …, unterwürfig …» usw., und ebenso sagt man: «X
ist
dominant …, feindselig …, unterwürfig …». Diese Sichtweise wird auch gepflegt, wenn z.B. Schüler bei der Behandlung eines Dramas aus den Äußerungen und Handlungen der Figuren – interessanterweise auch «Charaktere» genannt! – eine
Person
beschreibung ableiten sollen, selten hingegen eine Kontextbeschreibung. Auf diese Weise wird ganz nebenbei Alltagspsychologie verfestigt: Das Verhalten der «Charaktere» ist eben Ausdruck ihres Charakters. Die sprachliche Gleichsetzung verrät die psychologische Denkweise.
    Wie kommt es zu dieser Tendenz? Ein Grund für die Personzentrierung ist sicherlich die Blickrichtung. Als Betrachter schaut man auf die handelnde Person, sie ist Akteur und zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Der umgebende Kontext wird lediglich wie eine Kulisse im Hintergrund wahrgenommen. Wenn dies so ist, wäre zu erwarten, dass Menschen ihr
eigenes
Verhalten weniger «personal» erklären. Denn wir selbst schauen sozusagen von innen auf die Situation und weniger auf uns selbst. In der Tat werden beim eigenen Verhalten die Erklärungen meist «situativer». Beobachten wir etwa bei einem anderen Menschen einen Ärgerausbruch, werden wir eher schließen, er sei «jähzornig», als bei uns selbst – da sehen wir doch vorrangig den Anlass, der uns dazu «gebracht» hat. Ross und Nisbett berichten über eine Studie, in der Studierende nach den Gründen für ihr Engagement bzw. ihr fehlendes Engagement bei der Vorbereitung einer Uni-Veranstaltung gefragt wurden. Die Betroffenen selbst verwiesen vornehmlich auf die gute bzw. schlechte Bezahlung, während Außenstehende viel eher Unterschiede in der persönlichen Einsatzbereitschaft vermuteten.
    Neben der Wahrnehmungsperspektive – Blick auf die Person bzw. auf das Umfeld – lenkt auch die
soziale Wertung
unsere Erklärungen, und zwar besonders dann, wenn es um das eigene Verhalten geht. So kann man eigenes Fehlverhalten natürlich gut mit der Situation «entschuldigen», während man lobenswertes Verhalten eher als Ausdruck persönlicher Einstellungen betrachtet («Ist doch selbstverständlich»). In klangvollem Psychologen-Deutsch heißt dies: Menschen bevorzugen Erklärungen, die «selbstwertdienlich» sind.
    Vorsicht: Eigenschaftswörter verallgemeinern!
    Nun zu der zweiten erwähnten Tendenz der Alltagspsychologie: Personmerkmale werden oft als
umfassende
Eigenschaften verstanden: «X ist ein friedfertiger Mensch», «Y ist eine ehrliche Haut». Zeigt nun ein Mensch verschiedene Facetten, die sich nicht leicht auf einen Eigenschaftsnenner bringen lassen, hilft man sich gelegentlich, indem man auch dies zu einer Eigenschaft macht: «X ist ein widersprüchlicher Charakter», ist «unberechenbar» oder gar «schizophren». Aber sind z.B. Schüler widersprüchliche Persönlichkeiten, wenn sie sich bei Lehrer A ganz brav und bei Lehrer B chaotisch verhalten?
    Eigenschaften, die man einem Menschen zuschreibt, sind in jedem Fall Konstruktionen im Kopf des
Urteilers
 – offen bleibt, wie gut sie damit die Persönlichkeit des
Beurteilten
treffen. Häufig verallgemeinert man dabei über Gebühr. Kann man wirklich sagen, dass ein Mensch ordentlich «ist», ehrlich «ist», hilfsbereit «ist», friedfertig «ist», aggressiv «ist»? Sind dies nicht eher Verkürzungen, die außer Acht lassen, dass dieser Mensch sich nur in bestimmten Kontexten so verhält, in anderen aber nicht? Möglich ist auch, dass eine Person X sich in bestimmter Hinsicht

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