Abschied von der Küchenpsychologie
mögen die Bandbreite andeuten: Informationsverarbeitung, Wissensaufbau, Erwartung, Neugier, Bewertung, Zielsetzung, Attribution (Ursachenzuschreibung), Entscheidung, Handlungsplanung, Selbststeuerung, kreatives Denken, Selbstbild, Kommunikation, Einfühlung usw. Selbst hoch emotionale Phänomene wie Stressempfinden oder Angst lassen sich kognitivistisch ausdeuten (s. Kapitel 8.2 . und 8.3 ).
Humanistische Psychologie
Mitte der fünfziger Jahre entwickelte sich in den USA die sog. Humanistische Psychologie. Auch sie hat keinen einzelnen Gründer, aber eine Reihe wichtiger Namen. Unter anderem sind dies Charlotte Bühler ( 1893 – 1974 ), eine berühmte Entwicklungspsychologin, Carl R. Rogers ( 1902 – 1987 ), der Begründer der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, und Abraham Maslow ( 1908 – 1970 ), dessen Hierarchie menschlicher Bedürfnisse tausendfach zitiert wird. Nach Maslow müssen zuerst Defizitbedürfnisse wie Hunger und Sicherheit befriedigt sein, ehe Menschen nach Wachstum streben, mithin nach Leistung, Anerkennung, Ästhetik und Selbstverwirklichung.
Gerade diese Wachstumsbedürfnisse sieht die Humanistische Psychologie als wesentliches Merkmal des Menschen. Weiterhin betont sie, wie sehr wir alle in unserer ganz persönlichen Welt leben und welch große Bedeutung es hat, wie wir uns
selbst
erleben und über uns denken. Das Selbstbild ist einer ihrer zentralen Begriffe. Personale Aspekte haben für das Erleben und Verhalten somit stärkeres Gewicht als situative.
Die Humanistische Psychologie verstand sich damals als «dritte Kraft» neben der klassischen Psychoanalyse und dem orthodoxen Behaviorismus. Sie wandte sich vor allem gegen deren mechanistische Menschenbilder, in denen Erkennen und Entscheiden wenig Platz hatten. Mit der «Wiederentdeckung» des Bewusstseins trug die Humanistische Psychologie auch zum kognitivistischen Denken bei, das einige Zeit später, wie dargestellt, zu einer breiten Strömung wurde. Sie ist aber nicht so rationalistisch wie einige strenge Kognitivisten, sondern betont eher das Erleben von Gefühlen und Motivationen.
Darüber hinaus haben sich weitere theoretische Sichtweisen entwickelt, von denen einige kurz erwähnt seien. So hat in den letzten Jahrzehnten
systemisches
Denken in einigen Feldern an Bedeutung gewonnen. Die systemische Sichtweise betont besonders die
inter
personalen Bezüge und sieht den einzelnen Menschen als Teil eines umfassenderen Systems mit engen Verflechtungen (z.B. eine Familie). Diese Sichtweise findet man heute auch innerhalb der zuvor beschriebenen Richtungen, also z.B. als psychoanalytische Familientherapie oder als verhaltenstherapeutisches Paartraining.
In jüngster Zeit ist auch von der
biopsychologischen
Perspektive immer wieder die Rede, die psychische Phänomene vor allem aus der Funktionsweise des Gehirns und Nervensystems sowie der Hormone erklärt. Allerdings handelt es sich hier weniger um eine theoretische Richtung, eher um einen besonderen Blickwinkel auf psychisches Geschehen; denn
dass
dieses eine organische
Seite
hat, ist im Prinzip selbstverständlich. In weitem Sinne biologisch ist auch der
evolutionspsychologische
Ansatz. Er versucht, psychische Phänomene wie z.B. Emotionen aus der Stammesgeschichte des Menschen zu erklären.
Insgesamt liefert wohl jede Theorierichtung wichtige Beiträge zum Verständnis psychischen Geschehens. Häufig lässt sich ein bestimmtes Phänomen leichter aus dem Ansatz A und ein anderes leichter aus Ansatz B klären. Zudem kann man wohl sagen, dass heute die einzelnen Strömungen weniger als vor Jahrzehnten nur nebeneinander existieren und konkurrieren. Viele Forscher sehen durchaus Berührungspunkte und bemühen sich um eine Integration der Theorien. Orthodoxe Positionen und reine Lehren werden kaum noch vertreten.
Soweit man die Grundideen als Menschenbilder versteht, bleibt es fraglich, ob überhaupt jemals eine Entscheidung darüber möglich ist, welches Bild dem «Wesen» des Menschen am besten gerecht wird. Einzelne Hypothesen, die aus den Grundannahmen der Theorieansätze abgeleitet werden, lassen sich jedoch häufig überprüfen – und das ist das Geschäft der Wissenschaft.
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Schwerpunkt:
Person und Entwicklung
In diesem Schwerpunkt richtet sich der Blick vorrangig auf den einzelnen Menschen und seine Entwicklung. Von den insgesamt elf Themen werden die ersten fünf von fragwürdigen populären Vorstellungen her aufgerollt (Kapitel 7 ). Die
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