Abschied von der Küchenpsychologie
Fachleute zu Wort kommen, mag zuweilen der Eindruck entstehen, hier stünde einfach Meinung gegen Meinung. Doch die Auskünfte der psychologischen Forschung weisen schon seit Jahrzehnten (!) immer in dieselbe Richtung: Statistisch gesehen, also beim Vergleich von größeren Stichproben, ist die Berufstätigkeit beider Eltern per se nicht schädlich. Das gilt für das Kleinkindalter ebenso wie für das Grundschulalter und das Jugendalter. Im ersten Lebensjahr kann zwar ein häufiger Wechsel der Pflegepersonen problematisch sein, doch prinzipiell kommen auch Kinder unter drei Jahren mit weiteren Bindungspersonen zusätzlich zu ihren Eltern gut zurecht.
Schon in den 1970 er Jahren fasste die bekannte Entwicklungspsychologin Ursula Lehr den Stand der Forschung zusammen und gab Entwarnung. Dieselbe Botschaft sendet in jüngerer Zeit Lieselotte Ahnert mit einer umfassenden Forschungsübersicht, die sich unter anderem auf kulturvergleichende Studien stützt.
Wenn man also in einem konkreten Fall im Bekanntenkreis lediglich den Tatbestand kennt, dass beide Eltern berufstätig sind, dann verbietet sich jegliche Aussage über die Folgen für das Kind. Die Forschungsergebnisse fordern vielmehr zu einer differenzierten Betrachtung auf. Das heißt: Nur wenn man mehrere Bedingungen berücksichtigt (von denen gleich die Rede sein soll), kann man zu einer fundierten Beurteilung gelangen. Im Einzelfall kann die doppelte Berufstätigkeit ungünstig oder auch günstig sein – immer verglichen mit der beständigen häuslichen Anwesenheit eines Elternteils, meist der Mutter. Umgekehrt gilt dasselbe! Wenn man lediglich weiß, dass die Mutter nicht berufstätig ist, kann man noch nichts darüber sagen, ob dies für das Kind günstig oder ungünstig ist.
Seltsamerweise wird öffentlich fast ausschließlich diskutiert, ob die
Berufstätigkeit
bei zeitweiliger Fremdbetreuung für das Kind schädlich ist. Ob umgekehrt vielleicht auch die
ausschließlich häusliche
Betreuung des Kindes Risiken bergen könnte, wird hingegen kaum einmal gefragt. Dabei ist doch eigentlich weithin bekannt, wie lieblos, wie eintönig, zuweilen gar gewalttätig es in manchen Familien zugeht. Dem Slogan derer, die streng am traditionellen Familienmodell festhalten, nämlich «Krippenerziehung ist Risikoerziehung», könnte man also entgegenhalten: Nirgends ist, statistisch gesehen, das Risiko einer Misshandlung so groß wie in der eigenen Familie. Doch auch dann, wenn man nicht an solche Extremfälle denkt, kann man so manchem Kind sicherlich nur wünschen, dass es wenigstens zeitweilig außerhalb der Familie unter freundlicher und anregungsreicher Betreuung lebt, womöglich zusammen mit anderen Kleinkindern.
Viele Mütter, die sich zu Hause «um die Familie kümmern», verbringen bei genauem Hinsehen die Zeit vorrangig mit Haushaltstätigkeiten und der physischen Versorgung der Kinder, sprechen aber mit ihren Kindern nicht mehr als Mütter, die vom Beruf heimkehren. Und falls eine Mutter, die «viel Zeit für das Kind» hat, den ganzen Tag an ihm herumerzieht, statt dem Kind Raum für Neugier und Selbsterprobung zu geben, dann «kümmert» sie sich zwar um das Kind, aber nicht in einer förderlichen Weise.
Weil es viele solcher problematischen Fälle gibt, ist leicht zu verstehen, dass
im statistischen Vergleich
die rein familiäre Betreuung nicht überlegen ist. Verschiedene Forschungen sprechen sogar eher dafür, dass, jedenfalls ab dem zweiten Lebensjahr, eine ergänzende außerfamiliäre Betreuung nicht nur nicht schädlich, sondern sogar förderlich ist. Das gilt zum einen für die kognitive Entwicklung (und damit auch für die Schulreife), die in Kindertagesstätten von professionellen Erzieherinnen durch anregendes Sprechen und Spielen gefördert werden kann. Es gilt auch für die Selbständigkeit und das Selbstvertrauen sowie die soziale Kompetenz und Kontaktfähigkeit im Umgang mit anderen Kindern. Das liegt offenbar nicht nur an den Anregungen und Kontakten, die das Kind außer Haus bekommt, sondern auch an den berufstätigen Müttern. Sehr häufig legen sie selbst Wert auf Bildung, Leistung und Selbstentfaltung, bringen aus dem Berufsleben nützliche Erfahrungen mit (z.B. im Umgang mit Technik, im Organisieren), und können mit diesen Haltungen und Kompetenzen auch in der Familie als Vorbild wirken und in vielen Dingen Anregungen geben.
All dies schließt nicht aus, dass in bestimmten
Einzelfällen
die Berufstätigkeit beider Eltern doch
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