Abschied von der Küchenpsychologie
Umweltunterschiede sind aber nicht einfach Familienunterschiede, denn auch für Geschwister, die in derselben Familie aufwachsen, sind die Umwelten außerordentlich unterschiedlich. Und, für viele überraschend: Es sind gerade diese Unterschiede in der ganz individuellen Umwelt, die (neben genetischen Unterschieden) erklären können, warum sich Menschen in ihrer Persönlichkeit unterscheiden.
Welche
Umweltfaktoren Geschwister im Einzelnen gemeinsam haben und welche nicht, das kann von Fall zu Fall variieren. Klar ist aber, dass es immer gemeinsame und nicht gemeinsame Umweltanteile gibt.
Sie werden fragen: Wie kann man das überhaupt ermitteln? Denn wenn man behauptet, dass auch in einer scheinbar gleichen Umwelt heranwachsende Menschen in einer «eigenen Welt» leben und dass diese für ihre Persönlichkeitsentwicklung bedeutsamer ist als der gemeinsame Familieneinfluss, dann muss man diese Anteile ja auseinanderrechnen können. Hier bringen
Adoptionsstudien
wichtige Erkenntnisse. Denn Adoptivgeschwister haben nicht mehr gemeinsam als irgendwelche Zufallspaare – außer eben, dass sie in derselben Familie aufwachsen. Nun untersucht man: In welchem Maße werden sie durch diesen Tatbestand einander ähnlicher, verglichen mit zwei Menschen, die getrennt aufwachsen? Anders gefragt: Wie stark verringern sich dadurch ihre Unterschiede, verglichen mit Zufallspaaren?
Wie die Forschungen zeigen, werden Adoptivgeschwister nur geringfügig ähnlicher als zwei Menschen, die weder verwandt noch durch Adoption verschwistert sind. Das Gleiche gilt für biologische Geschwister, die von derselben Familie adoptiert werden. Sie haben genetische Gemeinsamkeiten (im Schnitt 50 Prozent) und stimmen schon deshalb stärker überein als Zufallspaare. Doch auch sie werden nicht viel ähnlicher als biologische Geschwister, die von verschiedenen Familien adoptiert werden.
Daraus den Schluss zu ziehen, dann müsse ihre Unterschiedlichkeit bzw. ihre Ähnlichkeit fast völlig genetisch bedingt sein, wäre aber falsch. Denn, wie erwähnt (S. 129 ), haben das Genom und die Umwelt im Großen und Ganzen etwa das gleiche Gewicht, wie man unter anderem aus der Zwillingsforschung weiß. Die Schlussfolgerung lautet also vielmehr: Bei jenen Personmerkmalen, bei denen der gemeinsame Familieneinfluss auf Geschwister nur eine geringe Rolle spielt, geht der Löwenanteil des Umwelteinflusses auf das Konto der nicht gemeinsamen, der ganz persönlichen Umwelt. Die Umwelt eines Menschen ist eben nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb einer Familie höchst individuell.
7.4 «Beide Eltern berufstätig – das muss dem Kind ja schaden»
«Das Interview mit Frau Dr. R. war und ist für Frauen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen gegen die berufliche Karriere und für die Familie entschieden haben, ein Schlag ins Gesicht» – so der empörte Leserbrief einer Mutter.
Was war passiert? Die Schulärztin hatte der
Neuen Osnabrücker Zeitung
berichtet, dass im Einschulungsalter Kinder von berufstätigen Müttern häufiger schulreif seien als Kinder von Müttern, die nicht arbeiten. Eine solche Aussage wird von nicht berufstätigen Müttern schwerlich als bloßer statistischer Befund zur Kenntnis genommen, sondern sie wird, menschlich verständlich, wie eine persönliche Bedrohung empfunden. Auch wissenschaftliche Themen können eben manchmal ein echter Aufreger sein, wenn sie die Lebensgestaltung oder Weltanschauung von Menschen in Frage stellen.
Das Thema «Berufstätigkeit beider Eltern» erhitzt die Gemüter von Zeit zu Zeit immer wieder. So war es in den 1970 er Jahren bei der Diskussion um die «Tagesmütter», und ebenso waren in den letzten Jahren unter dem Stichwort «Krippenerziehung» heftige Debatten zu hören. Wichtig ist das Thema nicht nur für berufstätige Eltern, sondern auch für viele Alleinerziehende, die auf eine Erwerbstätigkeit oft gar nicht verzichten können.
Die Frage lautet also: Wie wirkt sich die Berufstätigkeit der Eltern, verbunden mit ihrer zeitweiligen Abwesenheit und einer Fremdbetreuung, auf die Entwicklung eines Kindes aus, zum einen auf die kognitive, zum andern auf die soziale und emotionale Entwicklung? Kann man sagen, ob dies im Vergleich zur rein häuslichen Betreuung schädlich oder vielleicht sogar vorteilhaft ist?
Der Forschungstrend ist eindeutig
Das Thema ist leider ideologisch belastet, und wenn in TV -Talkshows und anderen öffentlichen Debatten Politiker und Kirchenvertreter, nicht aber
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