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Abschied von der Küchenpsychologie

Abschied von der Küchenpsychologie

Titel: Abschied von der Küchenpsychologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Nolting
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der man etwas «heimzahlt». Beispiele: Ein Mann, der sich von seinem Nachbarn beleidigt fühlt, verwüstet heimlich dessen Blumenbeet. Oder ein «Verräter» wird gelyncht. Hier dominieren wirklich aggressive Emotionen wie Ärger, Groll oder Hass. Den Widersacher leiden zu sehen, verschafft eine Befriedigung, die man «Genugtuung» nennt. Es ist Genugtuung darüber, dass nun die Gerechtigkeit und/oder das Selbstwertgefühl wiederhergestellt wurden.
    Die
Abwehraggression
ist eine Reaktion auf Bedrohungen oder Belästigungen. Beispiele: Man stößt einen Angreifer zurück. Oder: Um sich unangenehme Fragen vom Leibe zu halten, reagiert man mit Beschimpfungen («Dir fällt wohl nur dummes Zeug ein»). Emotionen spielen hier durchaus mit, nämlich Angst (bei Gefahr) oder Ärger (bei Belästigung). Aber in erster Linie will man etwas abwenden bzw. sich schützen. Das Wehtun ist insofern Mittel zum Zweck, und der ist erfüllt, sobald die Bedrohung oder Belästigung abgewehrt ist. Statt um Genugtuung geht es primär um Erleichterung.
    Vergeltung und Abwehr werden oft verwechselt, weil beide eine
Re
aktion sind. So sagen Menschen, die sich rächen, denn auch häufig: «Ich wehre mich ja nur.» Aber der Unterschied ist groß: Echte Abwehr dauert nur so lange, bis die Bedrohung oder Belästigung beendet ist, Vergeltung wird dagegen oft auch nachträglich verübt, zuweilen Jahre später. Juristisch ist dies ebenfalls ein Unterschied: Notwehr ist erlaubt, Selbstjustiz hingegen nicht. Allerdings: Eine Mischung beider Typen ist möglich, sofern nämlich die Vergeltung neben dem Heimzahlen auch der Abschreckung (= vorbeugende Abwehr) dienen soll.
    Erlangungsaggression
(kein schönes Wort, aber welches ist treffender?) ist aktiv darauf gerichtet, etwas zu bekommen: Geld und Güter, Beachtung, Anerkennung, Machtpositionen. Die Gewaltkriminalität ist voll davon. Sehr deutlich ist das Verhalten hier Mittel zum Zweck. Natürlich kann
auch
Ärger aufkommen, wenn der Versuch auf Widerstand stößt. Wer ist nicht schon einmal ärgerlich geworden bei dem Versuch, sich durchzusetzen?! Ein kleines Kind setzt vielleicht mit Wutgeschrei seine Eltern unter Druck, weil es unbedingt ein Leckerli oder ein Spielzeug haben will. Und auch in der hohen Politik sind Wutausbrüche zuweilen eine Form der Machtausübung.
    Lustaggression:
Damit meine ich aggressive Handlungen, bei denen man weder einen Ärgeranlass noch einen Nutzeffekt erkennen kann. Beispiele: Fußball-Hooligans freuen sich schon auf die Prügelei mit den «Fans» des Gegners. Schüler schikanieren aus Vergnügen stille Mitschüler auf dem Schulhof (s. Kapitel  9.4 über Mobbing). Auch dies ist kein reaktives, sondern aktives Handeln. Lustvoll kann dabei der Nervenkitzel sein (Gewalt als «Kick») und/oder das Gefühl eigener Größe und Stärke.
    Neben diesen Aggressionsarten gibt es eine
halbaggressive
Variante, die man heftige
Unmutsäußerung
nennen kann. Beispiele: Man flucht laut über eine Panne. Oder: Man brüllt «Ruhe!» in den Raum. Hier handelt es sich um einen impulsiven Affektausdruck ohne die Absicht, zu verletzen und wehzutun. Bloßes Schimpfen ist noch nicht wirklich aggressiv,
Be
schimpfen durchaus.
    Der Übergang zwischen aggressivem und nicht aggressivem Verhalten ist also zuweilen fließend, und auch zwischen den vier vorgestellten Typen sind Übergänge und Mischformen möglich. Doch es gibt sie durchaus in Reinform: Ein Faustschlag als reiner Racheakt oder als echte Notwehr oder als Zwangsmittel zur Bereicherung oder aus purem Spaß am Prügeln – all das kommt vor.
    Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass es wesentlich präziser ist, wenn man eine aggressive Handlung etwa mit Vergeltungsbedürfnis oder einem Nutzeffekt erklärt statt einfach mit «Aggressionen», die man «hat». (Den undifferenzierten Sprachgebrauch in puncto innerer «Aggressionen» habe ich schon in Kapitel  9.5 über die Ventil-Idee beklagt, S.  220 .) Im Übrigen zeigt die vorgestellte Differenzierung, dass aggressives Verhalten keineswegs immer eine Reaktion auf negative Erfahrungen ist. In erheblichem Maße lebt es von positiven Erfahrungen: Es ist oft erfolgreich und nützlich oder es macht einfach «Spaß».
    Bei der Suche nach Wegen zur
Aggressionsverminderung
ist es ebenfalls wichtig zu differenzieren. Soweit Ärger, Groll und ähnliche Emotionen im Spiele sind, geht es um einen besseren Umgang mit diesen Gefühlen. Unter anderem können Selbstreflexion, Neubewertungen und

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