Abschied von Eden
nicht freigegeben, es könnte also noch was auftauchen. Aber bisher haben wir absolut nichts, um sie mit dem Tatort in Verbindung zu bringen. Das wissen sie allerdings nicht.«
»O-kay.«
»Und rauch in ihrer Gegenwart bloß nicht«, sagte Decker. »Nach dem, was ich gehört hab’, ist sie eine richtige Fundamentalistin. Vermutlich hält sie Tabak für eine Erfindung des Teufels.« Er nahm eine Nase voll von dem Geruch im Auto und sagte dann: »Ist gar nicht so falsch.«
Hollander steckte die Pfeife in seine Jacke, kippte den Beifahrersitz soweit wie möglich nach hinten und schloß die Augen. Am Canyon schaltete Decker herunter und bremste noch mehr ab, als es die kurvige Canyonstraße hinunterging. Die goldbraunen Getreidefelder schimmerten in der Sonne, in der Ferne graste Vieh. Ein idyllisches Stück Amerika, wenn man von dem Gemetzel absah, das hier stattgefunden hatte. Plötzlicher Wutanfall. So was passierte ständig …
Abels Stimme, die zu ihm sagte: Wer war er denn, daß er sich anmaßte zu richten?
Guter Punkt, Old Honest Abe. Sehr guter Punkt.
Decker hörte Hollander schnarchen. Er kannte Mike jetzt seit sechs Jahren und hatte ihn noch nie aufgebracht erlebt. Hollander war ein guter Polizist, wenn auch nicht sehr ehrgeizig. Doch durch sein gemächliches Tempo hielt er sich gut in einem Job, der dafür berüchtigt war, daß die Leute rasch ausbrannten.
Er fuhr am Hell’s Heaven vorbei, wo die Choppermaschinen aufgereiht standen und die Rocker in der üblichen Leder- und Jeanskluft herumhingen. Das gleiche Bild wie vor einer Woche. Zweifellos auch das gleiche wie vor drei Wochen.
Wenn vier Leute im Wald starben und niemand es merken würde …
Eine Meile vor der Darcy-Farm rüttelte Decker Hollander an der Schulter, der grunzend aufwachte. Decker fuhr langsamer und bog dann in die Schotterstraße, die zum Haus führte. Das gelbe Absperrband war zerrissen, aber ein Ende hing immer noch am Verandapfosten. Es lag schlaff auf dem Boden wie eine Luftschlange nach der Party. Decker schaltete den Motor aus und stieg mit Hollander aus dem Wagen. Die Luft war warm und windstill, und es roch nach Heu und Klee.
»Wo ist denn das Empfangskomitee?« fragte Hollander.
»Da würd’ ich nicht drauf warten.« Decker klopfte an die Tür. Nach einer Minute klopfte er noch einmal.
»Wir sind zu spät«, sagte Hollander.
Decker ging ums Haus herum, Hollander folgte ihm. Auf dem von Unkraut überwucherten Grundstück parkte ein aquamarinblau und weiß lackierter Dodge aus den fünfziger Jahren. Die Fenster waren heruntergekurbelt. Polstermaterial quoll an den Nähten und Wülsten heraus. Decker probierte es an der Scheunentür – abgeschlossen. Er beschirmte seine Augen mit einer Hand und ließ seinen Blick über das Feld schweifen. In der Ferne standen die Holzkisten – die Bienenstöcke. Dazwischen bewegte sich etwas Blaues. Decker ging zwanzig Meter vor und konnte dann die Umrisse einer Frau mit gebeugten Schultern erkennen. Sie trug einen Schleier und Handschuhe. Er ging weiter.
»Wir hätten was gegen Insekten mitnehmen sollen«, sagte Hollander.
Decker antwortete nicht.
Hollander mußte sich bemühen, mit Decker Schritt zu halten. »Meinst du, es ist was Wahres an dem Spruch: ›Wenn du ihnen nichts tust, tun sie dir auch nichts‹?«
»Nicht wenn Tausende von den Viechern da sind.«
»Na wunderbar.«
Die Frau hob nicht den Kopf, als sie sich näherten. Sie war kräftig gebaut und hatte einen großen Busen. Ihre Gesichtszüge wirkten durch den Schleier verschwommen, doch Decker konnte erkennen, daß sie eine gesunde Gesichtsfarbe hatte. Ihre glatten grauen Haare waren gerade abgeschnitten, wie bei dem kleinen Holländerjungen. Sie reichten ihr in den Nacken und glitzerten an den Enden silbrig. Als sie in Hörweite waren, blieb Decker stehen.
»Mrs. Darcy?« sagte er.
Keine Antwort. Decker sprach lauter. Vielleicht war die alte Frau ja schwerhörig, weil sie sie weiter ignorierte.
»Wir sind von der Polizei, Ma’am!« rief Decker. »Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen mein Mitgefühl aussprechen.«
Keine Antwort.
»Ich hab’ von all Ihren Nachbarn gehört, was für ein feiner Kerl Luke war. Wie sehr er Sie und seinen Pappy geliebt hat. Sie müssen ihm eine richtig gute Erziehung gegeben haben.«
Sie murmelte etwas.
»Wie bitte, Ma’am?« fragte Decker.
Die Frau antwortete nicht.
»Ich weiß, daß Sie ihn mit Gottesfurcht und der Liebe zu Jesus erzogen haben. Ein guter christlicher Soldat
Weitere Kostenlose Bücher