Abschied von Eden
du?«
»Im Leichenschauhaus. Und das schon ’ne ganze Weile.«
»Wunderbare Art, den Tag zu beginnen.«
»Zumindest kommt mir hier keiner dumm.«
Decker suchte in der Schreibtischschublade und zog seinen Notizblock heraus. Er hielt den Stift schreibbereit und sagte: »Leg los.«
»Vorläufiger Laborbericht«, sagte Marge. »Die Leichenstarre war bereits vorbei, der Pathologe meint, die Leichen wären mindestens achtundvierzig Stunden alt gewesen. Das paßt zur Entstehung der Maden. Der Entomologe hat die Maden in unterschiedlichen Entwicklungsstadien gefunden – die ältesten Eier sind vor zwei bis drei Tagen gelegt worden. Hauptsächlich Stubenfliegen und zwei Sorten Schmeißfliegen, letztere findet man meistens bei Leichen, die draußen gelegen haben. Aber da die Fenster auf waren, kamen die Fliegen leicht an die Toten ran.«
»Okay«, sagte Decker, der so schnell schrieb, wie er konnte. »Ich hab’s.«
»Ich hab’ heute morgen mit Crandal gesprochen«, fuhr Marge fort. »Hab’ das Arschloch um sechs geweckt und von ihm erfahren, daß die Zwanzigste Jahresversammlung der Western Beekeepers Association vor drei Tagen begonnen hat und daß die Darcys dort am ersten Tag aufgekreuzt sind.«
»Wie viele Leute sind da?«
»Muß ich mal in meinen Notizen nachsehen … hier steht’s. Zweihundertsechsunddreißig sind eingetragen, ob du’s glaubst oder nicht. Ist das große Ereignis für Profi- und Amateur-Bienenzüchter.«
Decker dachte laut ins Telefon. Vom zeitlichen Rahmen her könnten die Morde vor Beginn der Versammlung geschehen sein, oder jemand aus der Familie könnte von Fall Springs zurückgefahren sein, die Morde verübt haben und zurückgekehrt sein, bevor er vermißt wurde. Keines der Familienmitglieder hatte ein hieb- und stichfestes Alibi.
»Da hast du recht«, sagte Marge. »Jedenfalls ist die Familie benachrichtigt worden. Beim ersten Gespräch ist laut Crandal nicht viel rausgekommen. Alle stehen unter Schock. Ich hab’ gerade mit der Schwester telefoniert, die auch hier wohnt – Sue Beth Litton –, sie brachte kaum einen geraden Satz heraus. Die ganze Truppe bleibt unten im Süden, bis Sue Beth – ich zitiere – ›den ganzen Schlamassel in Ordnung gebracht hat‹. Die Polizei von Fall Springs hat sie unter Beobachtung.«
»Klang Sue Beth betroffen?«
»Ganz eindeutig«, sagte Marge. »Fassungslos. Als erstes hat sie nach Katie gefragt. Crandal muß ihr erzählt haben, daß das Kind noch lebt. Es schien ihr ein großes Anliegen zu sein, Katie so schnell wie möglich aus dem Heim zu holen. Sie sagte, sie könnte gegen vier hier sein, um ihren Eltern die Last abzunehmen. Ich hab’ gesagt, ich würd’ sie zu Katie bringen, sie müsse aber erst hier vorbeikommen, um die Leichen offiziell zu identifizieren. Das hat sie ziemlich bestürzt, aber sie war einverstanden. Ich hab’ mir die Leichen vor einer Stunde noch mal angesehen. Man kann die Gesichtszüge noch erkennen, aber sie sind in einem fürchterlichen Zustand, weil sie so aufgedunsen sind. Ich hoffe, sie dreht nicht durch.«
»Du schaffst das schon«, sagte Decker.
»Danke«, sagte Marge, doch ihre Stimme klang unsicher. »Sollen wir uns bei Sophi treffen, oder wird dir das zu spät wegen deinem Sabbat?«
»Nein, vier Uhr ist in Ordnung.« Gott sei Dank, daß es lange Sommertage gibt, dachte Decker. Da konnte man wenigstens die ganze Schreibarbeit erledigen, bevor der Sabbat anfing. »Ich kümmer’ mich auch um den Papierkram für Katies Entlassung. Aber ich möchte erst mit dieser Sue Beth reden, bevor wir ihr das Kind geben.« Er lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück. »Hat irgendwer den Darcys Polaroidaufnahmen von dem Unbekannten gezeigt?«
»Ob du’s glaubst oder nicht, Crandal war tatsächlich so schlau, einige Fotos mitzunehmen und sie rumzuzeigen. Bisher ist die ganze Familie allerdings viel zu hysterisch, um irgendeine Hilfe zu sein, und ehrlich gesagt, das Gesicht des Unbekannten sieht ziemlich übel aus. Ich hab’ mit dem Mann von Sue Beth gesprochen – Robert, das ist der, den sie Bobby Boy oder einfach B. B. nennen.«
»Old B. B.«
»Also, B. B. hat gesagt, er könnte unseren Unbekannten schon mal gesehen haben«, fuhr Marge fort, »aber es sei schwer zu sagen, weil er aussähe wie – ich zitiere noch mal – ›ein Nigger, und ich kenne keine Nigger‹.«
»Hast du ihm erklärt, daß er weiß ist, daß der Tod die Haut geschwärzt hat?«
»Pete, wir haben es hier mit Leuten zu tun, die
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