Abschied Von Freistatt
es ihm.
Es war unvermeidbar. In jeglicher anderen Hinsicht unterschieden Beysiber nicht von anderen Männern. Auch sie waren in der Straße der Roten Laternen und im Himmlischen Versprechen zu finden. Es war nur, daß Walegrin noch nie zuvor ein dunkelhaariges, rundes Gesicht mit Fischaugen gesehen hatte.
Die Frau bedeckte das Gesicht ihres Babys mit dem Schal. Walegrin bemerkte, daß keines ihrer übrigen Kinder beysibische Augen hatte. Er betrachtete alle eingehender. Das war nicht Schmutz auf ihren Gesichtern. Bedauerlicherweise fing alles an, Sinn zu ergeben.
»Wann wird Euer Mann zurück sein?« fragte er.
»Gegen Sonnenuntergang, vielleicht auch später.«
»Vielleicht auch nie?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Er wird zurückkommen. Dendorat kommt zurück.« Unendliche Bitterkeit schwang in ihren Worten mit.
»Er wird euch alle verprügeln, wenn er das da vorfindet!«
Der Kommandant wurde nachdenklich. Er konnte sich gut vorstellen, was Dendorat empfand, denn es fiel ihm leicht, sich in seine Lage zu versetzen. Ein Mann verläßt Haus und Hof, um seiner Familie ein besseres Leben bieten zu können. Er kommt zum hintersten Winkel des Reichs und findet zu seiner eigenen Verwunderung beim Bau der Freistätter Stadtmauer tatsächlich ein besseres Leben. Er schickt Geld nach Hause, damit auch seine Frau und Kinder ins gelobte Land kommen können. Bald darauf gesteht sie ihm, daß sie guter Hoffnung ist, und er ist der glücklichste Vater, während er auf einen Sohn wartet, der nicht wird Hunger leiden müssen. Aber dann stellt er fest, daß das Kind gar nicht von ihm ist.
Was kann er tun? Was könnte er sonst tun? Er wendet sich von seiner Frau ab. Ihm kommen Zweifel über die anderen Kinder, die ihm wie Mühlsteine am Hals hängen. Die Zweifel nagen unaufhörlich an ihm, treiben ihn zur Verzweiflung. Vielleicht hatte er seine Frau nie zuvor geschlagen, aber jetzt schlägt er sie, weil sie ihm diese Schande angetan hat.
»Kommandant?«
Walegrin blinzelte. Er hatte kein S'danzoblut in sich wie seine Halbschwester und nicht das Zweite Gesicht wie sie. Aber er würde seinen Sold für den nächsten Monat verwetten, daß er sich hier nicht täuschte.
»Kommandant, was sollen wir tun?«
Alle blickten Walegrin an. Der Kommandant wußte, was getan werden sollte. Natürlich würde er damit die beiden Frauen und die Kinder ins Elend stoßen, ganz zu schweigen davon, daß auch das Geld verloren sein würde, das er, wenngleich unwissentlich, in dieses Unternehmen gesteckt hatte.
»Ihr dürft dergleichen nicht in der Oberstadt machen«, erklärte Walegrin etwas verlegen und ohne irgend jemanden dabei anzublicken. »Sucht euch eine Unterkunft in der Leichenhausgegend«, riet er ihnen, obwohl er wußte, was für Leute dort hausten. »Vielleicht stört sich dort niemand daran.«
Theudebourga deutete zu dem Brunnen auf den Hof. »Aber wir brauchen frisches Wasser!«
Sie nahm Wedemir die sich härtende Masse ab und wusch sie in einem Eimer. Als sie damit fertig war, war das Wasser keineswegs mehr appetitlich, aber die weißgoldenen Fasern, die an ihren nassen Fingern klebten, sahen bereits ein wenig wie Seide aus. Sie rieb sie mit einem Schalende trocken und streckte sie Walegrin zur Begutachtung entgegen. Das Lüftchen auf dem Hof war nicht einmal imstande, ein Blatt rascheln oder ein Haar heben zu können, aber es genügte, die hauchfeinen Fäden aus ihrer Hand zu heben.
»Reines, klares, frisches Wasser«, sagte Theudebourga, während sich ihre Handflächen leerten. »Wenn es auch nur eine dieser drei Bedingungen nicht erfüllt, klebt die Schappe, und die Seide ist ruiniert.«
Hauchfeine Fäden verfingen sich in den Stoppeln über des Kommandanten Oberlippe. Er zuckte, blies und fing sie schließlich mit den Fingern. Sie waren zarter als der Busen einer Hure, weich wie Seide. Walegrin drehte sie zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ sie davonwirbeln. Er begann zu ahnen, daß er weit mehr als nur ein paar Silbermünzen wegwarf.
Wieder riß ihn Wedemir aus seinen Gedanken. »Was können wir tun?«
Walegrin schüttelte den Kopf. Die Beschwerden, die wegen des Gestanks eingegangen waren, würden unbedeutend sein, verglichen mit jenen, die es hageln würde, sobald Theudebourgas Spülwasser durch die Gossen rann. Er zitierte seinen Mentor Molin Fackelhalter. »Wir sind für das Wohlergehen der ganzen Stadt zuständig, nicht für das eines einzelnen Bürgers. Wir können nichts für sie tun.« Er wandte sich an
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