Abschiedskuss
tut mir wirklich leid«, sagt Jack, und sein verzerrtes Lächeln wirkt etwas weniger befremdlich.
»Was sollte das denn?«, frage ich atemlos.
»War nur eine Umarmung gegen den Schock«, antwortet er trocken. »Ich hätte dir stattdessen auch eine Ohrfeige geben können, aber du scheinst nicht der Typ zu sein, der damit sonderlich gut umgehen kann.«
Ich blicke auf, starre in sein grobknochiges Gesicht.
»Was du nicht sagst! Ich kenne eigentlich niemanden, der sich sonderlich gerne ohrfeigen lässt, am allerwenigsten von so einem Ungeheuer wie dir«, fauche ich. »Ich will ein Stück Torte. Zucker ist gut gegen Schock.«
Ich habe keine Ahnung, wo ich das herhabe, aber etwas hat mir die Zunge gelöst, und ich fahre fort: »Und du lädst mich ein.«
Er sieht mich amüsiert an und weist mir den Weg zum Museumscafé.
Zumindest ist es das, was ich erwarte. Aber als wir die kleine Cafeteria mit ihren in Zellophan verpackten Blaubeermuffins und der hektisch dampfenden Espressomaschine links liegen lassen, geht mir auf, dass Jack andere Pläne hat.
Das Rex-Whistler-Restaurant liegt direkt neben der Cafeteria, hier ist die Stimmung jedoch eher feierlich. Auf den Tischen liegen richtige Tischdecken, an den Wänden hängen grüne Gemälde im Stil Whistlers, und am Eingang wartet ein adretter Ober.
»Nachmittagstee für zwei Personen, bitte«, sagt Jack, und der Kellner führt uns lächelnd zu einem der besseren kleinen Tische.
»Und zwei Gläser Champagner«, fügt Jack nach kurzer Pause hinzu.
Ich nehme meine Tasche von der Schulter und bin etwas ratlos, was ich mit ihr machen soll. Das Messer darin pulsiert nicht mehr, aber es fühlt sich unter meiner Hand immer noch heiß an. Jack rückt mir einen schwarzen, gepolsterten Stuhl zurecht und schiebt ihn dann unter den Tisch, so dass ich nahe und bequem sitze. Ich schaue mich verstohlen um. Ein elegantes Paar Anfang vierzig, Franzosen vielleicht oder auch Italiener, turtelt in einigen Metern Entfernung, die Köpfe über der kleinen Blumenvase auf dem Tisch zusammengesteckt. Der Abstand ist ausreichend, um die Unterhaltung der anderen nicht hören zu können, aber nahe genug, damit es gemütlich ist.
Ich schiele auf Jacks Hände, die unbekümmert auf dem Tisch ruhen, betrachte die Manschetten seines kleinkarierten Hemds und die Ärmel seines Jacketts, und plötzlich wird mir klar, wie gut sich sein zeitloser, wenn auch etwas verschlissener Kleiderstil in einem erwachsenen Rahmen macht. Er hat etwas Respekteinflößendes.
Ich habe mich in feineren Restaurants nie sonderlich wohl gefühlt, aber als ich die kleine, in Leder gebundene Nachmittagskarte überfliege, sehe ich, dass die Preise nicht viel höher sind als in einem normalen Fastfood-Restaurant. Ich ziehe meinen Jackenärmel etwas hoch, so dass mein schönes Geburtstagsarmband zum Vorschein kommt. Ein Glück, dass ich es am Morgen noch angelegt habe.
»Den Champagner zuerst, vermute ich?«, lächelt der Kellner, der zwei hohe Gläser auf einem Tablett bringt.
»Ja, danke. Es ist ja eigentlich noch ein bisschen früh, I know«, sagt Jack, und seine tiefliegenden Augen glänzen. Ich erhalte ein perlendes Glas, das auf einer kleinen Cocktailserviette steht. Wir stoßen mit einem leisen Klirren an, und Jack kann ein weiteres Wolfslächeln nicht unterdrücken.
»Nur Idioten lassen es nicht klirren«, sagt er entschuldigend, als befürchte er, ich könnte es geschmacklos finden. »Ich meine, warum sollte man es sich nehmen lassen?«, fährt er fort und lächelt erneut. Was ist nur mit ihm los? Ich habe ihn nie so ausgelassen erlebt. In den Unterrichtsstunden sitzt er für gewöhnlich schweigend vor sich hin brütend da wie ein schwarzes Loch, wie Antimaterie, und sagt nur etwas, wenn er direkt gefragt wird.
Ich nippe an meinem Glas und ziehe fragend eine Augenbraue hoch.
»Nicht, dass du denkst, ich würde so was öfters machen«, sagt er. »Aber ich habe gerade ein Gemälde verkauft und war auf der Suche nach jemandem, mit dem ich das feiern kann. Vielleicht habe ich mich ja deswegen … so zügellos benommen. Drüben, im Turner-Saal. Ich hab plötzlich so gute Laune bekommen, als ich dich sah. Ich dachte, dass ich heute alleine nach London fahren und herumlaufen würde, gewissermaßen als Belohnung. Ich habe nicht damit gerechnet, so erfreuliche Gesellschaft zu finden. Also, nochmals zum Wohl, Maja. Auf … ›Death on a pale horse‹.«
»Auf den Tod auf einem fahlen Pferd«, wiederhole ich.
Wir nehmen beide
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