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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Hellberg
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es sich um zwei Museen in verschiedenen Stadtteilen handelt. Wir wollen uns die klassischen Gemälde ansehen, müssen also in die Tate Britain. Ich kann mir nicht helfen, aber ich befürchte, dass es recht langweilig wird. Das Museum ist ein gediegenes Bauwerk, es kommt mir fast skandinavisch vor. Nikita will sich mit ihrem Skizzenblock auf eigene Faust auf den Weg machen und sich eine Sammlung vornehmer Van-Dyck-Porträts näher ansehen, die hier als vorübergehende Leihgaben aus anderen Museen zu sehen sind. Sie ist in ihrem Element, das ist deutlich zu spüren.
    »Van Dyck ist wirklich ein Meister«, sagt sie und lächelt übers ganze Gesicht. »Technisch ist er einfach brillant, was man allein schon an dem funkelnden Brokat und den Spitzenkragen sieht, die irgendwie an staubige Spinnweben erinnern. Aber darüber hinaus ist er auch ein Spaßvogel. Ich glaube, das begreifen viele gar nicht.«
    Sie blättert eifrig in ihrem Skizzenblock bis zu einem bestimmten Blatt, auf das sie einige Van-Dyck-Kunstpostkarten neben ein paar Farbproben geklebt hat, die repräsentativ für die Palette des Meisters sind: bleichrosa Hauttöne, leuchtendes Kornblumenblau und sattes Weinrot. Sie hat sogar ein ausgefranstes Stück Brokat auf dem Papier befestigt.
    »Schau mal«, sagt Nikita und deutet auf eine kleine Reproduktion einer grimmigen Dame, die sie ebenfalls in ihren Block geklebt hat. Die Dame trägt Witwenschwarz und einen Mühlsteinkragen. Eine Perücke mit unzähligen Löckchen thront auf ihrem Schädel, und sie sieht beinahe aus wie Frankensteins Braut. Aber etwas will nicht so recht zu der historischen Steifheit passen: Ihr elisabethanisches Kleid ist so lustvoll ausgeschnitten, dass man sich wundert, ihre Brustwarzen nicht sehen zu können. Vielleicht waren sie aber auch zu sehen, und der Künstler hat sie taktvoll wegretuschiert. Schaut man genauer hin, hat die Dame fast so etwas wie einen … flirtenden Gesichtsausdruck.
    »Das kann doch nur humoristisch gemeint sein«, meint Nikita. »Er malte die großen britischen Exzentriker, so wie nur ein Ausländer uns sehen konnte. Davon bin ich überzeugt.«
    »Wird schon stimmen, wenn du es sagst«, erwidert Ash. »Ich würde gern erst mal in den Turner-Saal und dann weitersehen. Kommst du mit, Maja?«
    Einige spanische Teenager, alle mit denselben Baseballmützen und Rucksäcken, wuseln vor den größten und wichtigsten Turner-Gemälden herum, da ihr Lehrer sie aufgefordert hat, sich damit auseinanderzusetzen.
    Ash hat sich auf eine breite Bank mitten im Saal gesetzt und ist ganz in eine Skizze versunken. Ich weiß nicht, ob es die berühmten Motive sind, die er abmalt, oder die anderen Besucher oder gar der in eine Art Schlummer versunkene Aufseher. Ich schlendere weiter in einen kleineren Raum, in dem weniger Leute sind.
    Das Bild hängt etwas abseits hinter einem Wandschirm, irgendwie versteckt hinter den traditionelleren Motiven, die Turner zu einem der ganz großen Landschaftsmaler haben werden lassen. Das zerkratzte Eichenparkett ist stumm unter meinen Füßen, aber ich habe das Gefühl, dass der Fußboden genau vor diesem Gemälde weniger abgetreten ist. Hier haben nicht viele Besucher verweilen wollen.
    »Death on a Pale Horse.«
    Tod auf einem fahlen Pferd. Das Gemälde setzt einen gekrümmten Finger direkt auf die schmerzende Wunde in meiner Brust, durch Mantel, Jacke und Unterhemd hindurch. Ein einziger Blick genügt. Der knochige Finger gräbt und bohrt in etwas herum, was ich für halbwegs geheilt gehalten habe, das aber sofort aufplatzt und zu brennen beginnt.
    Das Gemälde wirkt auf den ersten Blick nicht gerade sensationell, es handelt sich eher um eine rätselhafte, etwas befremdliche Studie. Aber als es mich in seinen Bann gezogen hat, wächst es mit jeder Sekunde, die ich es betrachte, über sich hinaus. Auch die Leinwand scheint sich rein physisch auszudehnen, vielleicht weil ich mich weiter vorbeuge. Oder mich hineinziehen lasse.
    Turner hat mit Nebelschleiern und Wolkenwirbeln gearbeitet, wie man es erwartet, wenn man seinen Namen hört. Aber im Übrigen weist das Bild nichts auf, was typisch für ihn wäre, die Farbskala hat nichts Einschmeichelnd-Ätherisches an sich. In der unteren Hälfte der Leinwand geht ein stürmisches Grau in einen Wirbel aus ungesundem Grünweiß über. Von der oberen linken Ecke strudelt Rostbraun auf die Bildmitte zu und verwandelt sich dort in schorfiges Schwarz. Das Werk wirkt bedrohlich und beklemmend und eignet sich

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