Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
gesehen!«
»Ach,
ich hab ein Foto von den Jungs bei mir, immer nahe an meinem Herzen.«
Saskia
Haverkorn hob ihren Pulli und nestelte mit der einen Hand am Reißverschluss
ihrer Hüfttasche, während sie mit der anderen eine bleiche Speckrolle zurückschob.
Herbert Schmalfuß wandte dezent seinen Blick ab und strich mit einem Finger
über das blankpolierte Silber seiner Gabel.
»Da
muss ich jedes Mal aufpassen, dass ich mir nicht mit dem Reißverschluss in den
Bauch zwicke, aber auf Reisen ist der Beutel ungemein praktisch. Wobei, normal
fahren wir drei immer auf unseren Campingplatz bei Mannheim, da hat meine
Kusine ihren Wohnwagen stehen, der gehört eigentlich nur ihr, aber zwei Wochen
in den Sommerferien sind für uns reserviert. Immer. Da gibt’s nix!«
Saskias
Stimme klang streng, als sei die Kusine anwesend und hätte ihr soeben ihr
Anrecht auf den Wohnwagen streitig gemacht.
»Da
sind sie, meine Jungs! Wie von zwei verschiedenen Vätern, nicht?«
Madlen
nahm das Foto und Julia, die gerade ihren Löffel in die Suppe getaucht hatte,
ließ das Besteck gespannt wieder sinken. Ihre Blicke trafen sich, und Madlen
reichte Julia das Foto wortlos herüber.
»Erst
die Hand abwischen!«, kommandierte Saskia, deren Mutterstolz ihr stets
ungeahnte Durchsetzungsfähigkeit verlieh. Mit übertrieben vorsichtiger Geste
nahm Julia das Foto zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete die beiden
Jungen, die nebeneinander im Schneidersitz auf dem Boden saßen. Sie blickten
wie Echsen mit zusammengekniffenen Augen schräg an der Kamera vorbei, hatten
die Hände auf den Knien abgestützt und schienen völlig versunken in der
Betrachtung dessen, was hinter der Kamera stand. Beiden hing das Haar in fahlen
Strähnen bis auf die Schultern, die Wangen des Älteren waren mit einigen
Kratern verunziert, was darauf hindeutete, dass er die Pickelphase bereits
überwunden hatte, während der Jüngere zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht
darin steckte.
»Da
schauten sie gerade fern und sahen so allerliebst aus! So versunken!«, erklärte
Saskia.
Julia
gab das Foto zurück und blickte Madlen an. Wie Zwillinge, gaben ihre Augen an
Madlen weiter, und Madlen funkte zurück: Wie eineiige Zwillinge, identisch
unansehnlich und offensichtlich gleichermaßen stumpfen Sinnes.
Madlen
gab resigniert ihre Idee auf. Es wäre ja auch zu schön und einfach gewesen! Sie
beschloss, die Mutter der hässlichen Brut zur Strafe für den Rest des Abends zu
ignorieren und verstrickte Cem und Julia in ein Gespräch, ohne auf die
schüchternen Versuche von Saskia Haverkorn, sich mit der ein oder anderen
Bemerkung einzubringen, zu achten. Saskia biss sich auf die Unterlippe, ihre
Schulter begann wieder zu zucken, etwas, was sie unendlich hasste und störte,
doch ihr Körper machte einfach weiter ohne ihren gegenteiligen Willen zur
Kenntnis zu nehmen. Herbert Schmalfuß rief ihr hin und wieder eine Frage zu,
doch das Gespräch der anderen war so laut geworden, dass sie ihn nur sehr schwer
verstehen konnte und immer wieder entschuldigend lächeln musste.
Bis
zum Ende der Suppe hatte Julia ihren Tischnachbarn Cem Yildiz mehrfach und
immer wieder von neuem kichernd von ihrer völligen Interesselosigkeit an
Fußball überzeugt, oh, eine Ignorantin war sie, die dringend Nachhilfe
brauchte, indes, es war einfach nicht ihr Steckenpferd, und Cem hatte es
geschickt überspielt, wie gleichgültig ihm wiederum ihre Ahnungslosigkeit und
ihre Hingabe an Dressurreiten war. Als sie zum fünften Mal darauf hingewiesen
hatte, wie roh und brutal ihr das Geschehen auf dem Rasen erschien, hatte sich
Herbert Schmalfuß eingemischt und harmlos gefragt, warum sie denn in diesem
Falle ihr Los nicht an ihren Mann abgetreten hätte, von dem er sicher durch
mehrfache Konversation dies Thema betreffend wusste, dass sein Herz für den SV
Bütte-Erkenroytz schlug, wiewohl sein Heimatverein an der Weser lag.
Julia
lachte gekünstelt und nahm einen Schluck Wasser. Sie würde unter keinen
Umständen zugeben, dass sie Angst gehabt hatte, dass ihr Mann sich mit seiner
kindischen Schwärmerei lächerlich gemacht haben würde, sondern merkte nur an,
dass ein Tausch von der Hotelleitung nicht genehmigt worden war. Alles sollte
Fair Play sein, entweder hatte man eine Niete oder den Gewinn!
»Aber
das stimmt nicht!«, fiel Saskia, die ihren Teller mit Knoblauchbrot sorgfältig
auswischte, plötzlich mit lauter klarer Stimme ein. »Mein Kleiner hat sein Los
von Frau Wohlschlegel bekommen.
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