Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
sich Herbert
Schmalfuß an den Abstieg und trat hinaus auf die Lichtung. Sorgsam wischte er
den Stein ab und steckte ihn in seine Brusttasche. Was für ein schönes Geschenk
für Gesa Wohlschlegel! Wie allerliebst würde der Eisbär neben dem Pinguinstein
ihrer Tochter wirken! Vielleicht würde sich bei der Geschenkübergabe ein flüchtiger
Moment ergeben, ein Moment, den er ergreifen und nutzen sollte, um die Frau mit
den smaragdgrünen Augen zu einer weiteren Promenade á deux zu bitten. Schmalfuß
lächelte. Er freute sich schon auf Gesas Gesicht, wenn sie den sorgfältig in
ein Seidentüchlein eingewickelten Eisbär auspackte und zum ersten Mal sah! Die
Aufklärung des Mordes an Hakan Hunsfos musste für eine kleine Weile ruhen, auch
er, Herbert Schmalfuß, durfte hin und wieder an sein Privatleben denken.
»Oh,
ein… platter Stein?«
Gesa
Wohlschlegel betrachtete irritiert das Mitbringsel, das ihr der Ex-Kommissar
mit einer leichten Verbeugung und einem Zwinkern in den Augen überreicht hatte.
Schmalfuß hatte Frau Wohlschlegel überall in der Hotelanlage gesucht und war
schon völlig außer Atem, als ihm einfiel, dass er noch nicht an ihre Zimmertür
geklopft hatte. Nun saßen sie auf Frau Wohlschlegels Balkon, und Schmalfuß
beugte sich eifrig wie ein Kind vor, das in der Schule irgendein Ding aus Ton
geformt hatte und dessen Mutter nun nicht sehen wollte, was doch so
offensichtlich war!
»Sehen
Sie es nicht, gnädige Frau?«
Gesa
wendete den Stein und begutachtete ihn von der anderen Seite. Fragend blickte
sie auf.
»Ein
Bär!«, platzte Schmalfuß, der nicht länger an sich halten konnte, heraus und
griff nach dem Stein. »Sehen Sie – hier ist der Kopf, da ist sogar ein winziges
Öhrchen und da! Da sind die Pfoten, die sich in schnellem Trab über das Packeis
bewegen!«
Mit
einem bittenden Ausdruck reichte Schmalfuß den Bär über den Tisch, und Gesa
nahm ihn lächelnd an.
»Aber
natürlich! Wo habe ich nur meine Augen? Ausgerechnet ich, die ich mich eine
alte, erfahrene Steinsammlerin schimpfe! Ein Eisbär, natürlich.«
Da
sie nicht selbst darauf kam, half Schmalfuß etwas nach:
»Meinen
Sie nicht, dass er recht formidabel neben den Pinguinstein Ihres Fräulein
Tochter passen würde?«
Für
einen Moment war es still. Gesa strich mit dem Finger langsam die Konturen des
Bärensteins nach.
»Wären
Sie nicht dieser Auffassung?«
»Doch,
ja, ganz gewiss.« Gesa sah auf und legte Schmalfuß eine Hand auf den Arm. »Ich
stelle ihn direkt neben den Pinguin auf meinen Nachttisch. Kann ich Ihnen etwas
zu trinken anbieten? Viel habe ich nicht, aber wir können uns auch etwas vom
Zimmerservice bringen lassen.«
»Oh,
nein, ich werde gewiss nicht zulassen, dass Sie sich meinetwegen pekuniär
verausgaben. Ich nehme selbstredend an, was immer Sie an Bord haben.«
Gesa
stand auf und verschwand im Zimmer. Schmalfuß lauschte dem Rascheln ihres
Kleides hinterher und sah nach den Tennisplätzen, die er von hier oben gut im
Blick hatte. Wie gut ihr doch dies aparte, einfach geschnittene Kleid steht,
überlegte Schmalfuß. Wenn man sie nur in ihrem zebraübersäten Safarianzug
kennt, ist man leicht versucht, die Reize zu übersehen, mit denen die Natur
sie, so will mir scheinen, doch überaus großzügig bedacht hat. Oh, meine
Gärtnerin aus dem fernen Korschenbroich!
»Limonade
oder Wasser?«
Gesa
Wohlschlegel trat mit zwei Gläsern auf den Balkon und hielt sie fragend hoch.
»Gerne
die Limonade, wenn’s beliebt. Da drüben auf dem Tenniscourt? Mein Auge ist
nicht so scharf wie ehedem, aber ich meine, Ronny Specht und Rocco Erdmann bei
einem munteren Schlagabtausch zu sehen.«
»Ach
ja? Ich kann den einen nicht von dem anderen unterscheiden. Ich freue mich nur,
wenn man sie endlich nach Hause fahren lässt, damit der Trubel hier im Hotel zu
guter Letzt aufhört. Wobei es mir fast schon egal ist, denn ich bin nur noch
drei Tage hier. Man sagt, sie hätten einen von den Spielern verhaftet?«
»Oh,
nein, er befindet sich schon wieder auf freiem Fuße. Dem Himmel sei Dank!«
Drei
Tage, überlegte Schmalfuß, nur noch drei Tage. Nun denn, so ist es mit den
Urlaubsbekanntschaften, flüchtige Schimären, ein kurzes Turteln, ein
freundliches, bald vergessenes Gesicht.
»Na,
ich weiß nicht«, sagte Gesa zweifelnd. »Mir wäre es lieber, man würde den
Doppelmörder endlich fassen.«
»Doppelmörder
kann ich nicht gelten lassen, liebe Frau Wohlschlegel. Eine der beiden Episoden
entpuppte sich als
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