Absender unbekannt
Hörer auf. Rasch ging sie an mir vorbei und brachte Mae in ihr Zimmer.
„Hallo, Patrick.“
„Wer ist da?“ fragte ich.
„Wie haben dir die Bilder gefallen, die ich von deinen Freundinnen gemacht habe?“
Ich warf Bolton einen Blick zu und formte mit den Lippen lautlos den Namen „Evandro“.
Bolton rannte aus dem Haus, Devin folgte ihm.
„Die haben mich nicht sehr beeindruckt, Evandro.“
„Ach“, erwiderte er, „das tut mir aber leid. Ich habe meine Technik verbessert, versuche jetzt mit Licht und Schatten zu spielen, die Raumaufteilung zu beachten und so weiter. Ich finde, ich habe mich künstlerisch verbessert. Du nicht?“
Vor dem Fenster erklomm ein Agent einen Telefonmasten. „Weiß ich nicht, Evandro. Ich bezweifle, dass du Annie Leibovitz schon mal über die Schulter gesehen hast.“
Evandro kicherte. „Aber dir kann ich über die Schulter gucken, stimmt’s, Patrick?“
Devin kam herein und hielt ein Blatt Papier in der Hand, auf dem stand: „Halt ihn zwei Minuten!“
„Ja, stimmt. Wo bist du, Evandro?“
„Ich beobachte dich.“
„Ach ja?“ Ich widerstand der Versuchung, mich umzudrehen und aus den Fenstern auf die Strasse zu gucken.
„Ich beobachte dich und deine Freundin und die ganzen hübschen Bullen, die um das Haus herumstehen.“
„Na, wenn du in der Nähe bist, dann komm doch vorbei!“ Wieder ein leises Kichern. „Ich warte lieber noch. Aber du siehst sehr hübsch aus im Moment, Patrick, wie du das Telefon am Ohr hältst, die Stirn vor Sorgen in Falten, das Haar vom Regen zerzaust. Einfach bezaubernd.“
Grace kam ins Wohnzimmer zurück und stellte einen Koffer neben der Tür ab.
„Vielen Dank für die Blumen, Evandro!“
Grace zuckte, als sie den Namen hörte, und sah zu Angie hinüber. „Ist mir ein Vergnügen“, erwiderte Evandro.
„Was habe ich an?“
„Wie bitte?“ fragte er.
„Was habe ich an?“
„Patrick, als ich diese Fotos von deiner Freundin und ihrer Tochter…“
„Was habe ich an, Evandro?“
„… gemacht habe, da habe ich…“
„Du weißt es nicht, weil du das Haus gar nicht beobachtest. Stimmt’s?“
„Ich sehe viel mehr, als du dir vorstellen kannst.“
„Du hast nur Scheiße im Kopf, Evandro!“ Ich lachte. „Versuchst hier, einen auf…“
„Wage es nicht, über mich zu lachen!“
„… allwissenden, allgegenwärtigen Meister des Bösen zu machen…“
„Du redest nicht in diesem Ton mit mir, Patrick!“
„… aber ich finde, du bist nichts als ein jämmerlicher Anfänger!“ Devin sah auf seine Armbanduhr und hob drei Finger. Noch dreißig Sekunden also.
„Ich schneide das Kind in Stücke und schick sie dir mit der Post.“ Ich drehte mich um und sah Mae über ihren Koffer gebeugt im Kinderzimmer stehen, sie rieb sich noch immer die Augen.
„Du wirst nicht mehr in ihre Nähe kommen, du Wichser! Du hast deine Chance verpasst.“
„Ich lösche jeden aus, den du kennst.“ Die Stimme war rauh vor Zorn.
Bolton kam durch die Eingangstür und nickte.
„Du kannst nur beten, dass ich dich nicht zuerst erwische, Evandro.“
„Das schaffst du nicht, Patrick. Das schafft keiner. Auf Wiedersehen!“
Und dann war eine zweite Stimme in der Leitung, rauher als Evandros: „Wir sehen uns, Leute!“
Dann brach die Verbindung ab. Ich sah Bolton an.
„Sogar beide“, bemerkte er.
„Ja.“
„Haben Sie die zweite Stimme erkannt?“
„Nicht mit dem falschen Akzent.“
„Sie sind an der Nordküste.“
„An der Nordküste?“ wiederholte Angie.
Bolton nickte. „Auf Nahant.“
„Sie haben sich auf eine Insel verzogen?“ staunte Devin. „Jetzt können wir sie einkesseln“, erklärte Bolton. „Ich habe schon die Küstenwache alarmiert und Polizeiwagen von Nahant, Lynn und Swampscott ausgeschickt, die die Brücke sperren sollen.“ „Dann sind wir also in Sicherheit?“ wollte Grace wissen. „Nein“, widersprach ich.
Doch sie ignorierte mich und sah Bolton an.
„Ich kann das Risiko nicht eingehen“, antwortete dieser. „Auch Sie nicht, Dr. Cole. Ich kann nicht Ihre Sicherheit und die Ihrer Tochter aufs Spiel setzen, solange wir die beiden nicht haben.“
Sie sah Mae entgegen, die mit dem Pocahontas-Koffer in der Hand aus ihrem Zimmer kam. „Okay. Sie haben recht.“
Bolton wandte sich an mich. „Ich habe zwei Beamte zu Mr. Dimassis Wohnung abgeordnet, aber jetzt gehen mir langsam die Leute aus. Die Hälfte ist immer noch an der Südküste. Ich brauche jeden, den ich bekommen kann.“
Ich warf Angie einen fragenden Blick zu, und sie
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