Absender unbekannt
silbriges Licht an die Wände und tauchte den Raum in Perlmutt.
„Irgendwann frisst sie uns auf, die Gewalt“, sagte Angie. „Ich hab immer gedacht, wir sind stärker als sie.“
„Da hast du dich geirrt. Nach einer Weile ergreift sie Besitz von dir.“ „Sprichst du von mir oder von dir?“
„Von uns beiden. Weißt du noch, wie ich Bobby Royce vor ein paar Jahren erschossen habe?“
Ich erinnerte mich daran. „Du hast mir das Leben gerettet.“ „Indem ich ihm seines nahm.< Sie nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette. „Jahrelang habe ich mir versucht einzureden, dass ich mich anders fühlte, als ich abdrückte, dass ich das nicht gefühlt haben konnte.“
„Was denn?“ wollte ich wissen.
Sie beugte sich vor, die Füße auf der Bettkante, und schlang die Arme um die Knie.
„Ich hab mich wie Gott gefühlt“, antwortete sie. „Ich hab mich toll gefühlt, Patrick.“
Später lag sie mit dem Aschenbecher auf dem Bauch im Bett und starrte zur Decke hoch; ich saß noch immer auf dem Stuhl. „Das hier ist mein letzter Fall“, sagte sie. „Für ‘ne Weile wenigstens.“
„Okay.“
Sie drehte mir den Kopf zu. „Ist dir das egal?“
„Nein.“
Sie blies Kringel an die Decke.
„Ich hab es so satt, Angst zu haben, Patrick. Ich hab es so satt, so viel Wut zu fühlen. Mich macht das kaputt, wenn ich sehe, wieviel Hass ich verspüre.“
„Ich weiß“, versicherte ich ihr.
„Ich habe es satt, mich ständig mit Irren, Totschlägern, Pennern und Lügnern herumzuschlagen. Ich glaube ja schon langsam, die Welt besteht nur aus solchen Menschen.“
Ich nickte. Ich hatte es auch satt.
„Wir sind noch jung.“ Sie sah zu mir herüber. „Weißt du?“ „Ja.“
„Wir sind noch jung genug, das zu ändern, wenn wir wollen. Wir sind noch jung genug, um wieder clean zu werden.“
Ich beugte mich vor: „Seit wann fühlst du dich so?“
„Seitdem wir Marion Socia umgebracht haben. Vielleicht schon, seitdem ich Bobby Royce getötet habe, weiß nicht. Jedenfalls schon lange. Ich fühle mich schon so lange schmutzig, Patrick. Früher war das anders.“
Meine Stimme war ein Flüstern: „Können wir denn wieder sauber werden, Angie? Oder ist es schon zu spät?“
Sie zuckte mit den Achseln. „Den Versuch ist es wert. Meinst du nicht?“
„Klar.“ Ich griff nach ihrer Hand. „Wenn du das meinst, dann ist es das wert.“
Sie lächelte. „Du bist der beste Freund, den ich je hatte.“ „Ebenfalls“, gab ich zurück.
Plötzlich saß ich aufrecht in Angies Bett.
„Was?“ fragte ich, doch hatte niemand mit mir gesprochen. In der Wohnung war nichts zu hören. Aus dem Augenwinkel sah ich etwas, das sich bewegte. Ich drehte mich um und schaute auf das rückwärtige Fenster. Während ich die gefrorenen Fensterscheiben untersuchte, drückten sich die dunklen Äste der sich im Wind wiegenden Pappel an die Scheibe und schnellten wieder zurück. Mir fiel auf, dass die roten Digitalziffern auf Angies Wecker nicht zu lesen waren.
Auf der Kommode suchte ich nach meiner Uhr und beugte mich vor, um im eisigen Licht des Fensters die Uhrzeit zu lesen: 1:45 Uhr. Ich drehte mich um und hob die Jalousie an, damit ich einen Blick auf die Nachbarhäuser werfen konnte. Kein Licht war zu sehen, auch die Straßenlaternen brannten nicht. Die Nachbarschaft sah aus wie ein Bergdorf, überzogen mit einer Eisschicht, abgeschnitten von der Außenwelt.
Als das Telefon klingelte, bekam ich fast einen Herzinfarkt. „Ich nahm ab: „Hallo?“
„Mr. Kenzie?“
„Ja.“
„Tim Dünn.“
„Das Licht ist aus.“
„Ja“, bestätigte er. „In ganz Boston sind große Flächen betroffen. Das Eis wird schwer und reißt die Leitungen nach unten, in ganz Massachusetts geben die Transformatoren ihren Geist auf. Ich habe die Stadtwerke über unsere Situation unterrichtet, aber es wird noch ‘ne Weile dauern. „
„Okay. Danke, Officer Dünn!“
„Keine Ursache.“
„Officer Dünn?“
„Ja?“
„Welche von Devins Schwestern ist Ihre Mutter?“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich bin doch Detektiv, schon vergessen?“
Er kicherte. „Theresa.“
„Ach“, erwiderte ich, „eine der älteren Schwestern. Vor denen hat Devin immer Angst.“
Er lachte leise. „Ich weiß. Ist immer witzig.“
„Danke, dass Sie auf uns aufpassen, Officer Dünn.“
„Aber immer“, erwiderte er. „Nacht, Mr. Kenzie.“
Ich legte auf und betrachtete die reglose Mischung aus tiefen Schwarztönen, hellem Silber und Perlmutt draußen.
„Patrick?“
Angie hob den Kopf und
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