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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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nickte.
„Die Alarmanlagen an Ihrer Vorder- und Hintertür, Ms. Gennaro, sind auf dem neuesten Stand der Technik.“
„Wir können ein paar Stunden auf uns selbst aufpassen“, erwiderte ich.
Er schlug mir auf die Schulter. „Wir haben sie bald, Mr. Kenzie.“ Dann fragte er Grace und Mae: „Fertig?“
Sie nickte und hielt Mae die Hand hin. Das Mädchen ergriff sie und blickte verwirrt und traurig zu mir auf.
„Grace!“
„Nein.“ Grace schüttelte den Kopf, als ich versuchte, ihr
die Hand auf die Schulter zu legen. Sie drehte sich um und ging. Sie wurden in einem schwarzen Chrysler mit kugelsicheren Scheiben fortgebracht. Der Fahrer hatte kalte, aufmerksame Augen. „Wohin bringen Sie sie?“ erkundigte ich mich.
„Weit weg“, entgegnete Bolton, „weit weg.“
In der Mitte der Massachusetts Avenue landete ein Hubschrauber; Bolton, Erdham und Fields liefen vorsichtig über den gefrorenen Boden hinüber.
Als der Hubschrauber abhob und entlang der Strasse Müll gegen die Schaufensterscheiben wirbelte, hielten Devin und Oscar mit dem Auto neben uns.
„Ich habe deinen Kumpel, diesen Winzling, ins Krankenhaus gebracht“, erzählte Oscar und hob entschuldigend die Hände. „Hab ihm sechs Rippen gebrochen. Tut mir leid.“
Ich zuckte mit den Schultern. Irgendwann mache ich das wieder gut bei Nelson.
„Ich hab einen Wagen zu Angie geschickt“, erklärte Devin. „Ich kenn den Jungen. Er heißt Tim Dünn. Dem könnt ihr vertrauen. Fahrt direkt hin!“
Angie und ich standen gemeinsam im Regen und sahen zu, wie sich das Auto zwischen Polizeiwagen und FBI-Caravan einfädelte und die Massachusetts Avenue hinunterfuhr. Das Klatschen der Regentropfen auf dem Eis war das einsamste Geräusch, das ich je gehört hatte.

33
    Vorsichtig lenkte unser Taxifahrer seinen Wagen durch die vereisten Strassen: Er hielt die Tachonadel bei ungefähr dreißig und bremste nur dann, wenn er keine andere Möglichkeit mehr hatte. Die Stadt war in Eis gehüllt. Grosse gläserne Flächen bedeckten die Fassaden der Häuser; die Dachrinnen bogen sich unter dem Gewicht der weißen Eiszapfen. Die Bäume glänzten platinfarben, die Autos an den Strassen hatten sich in Eisskulpturen verwandelt. „Heute nacht gibt’s bestimmt ‘ne Menge Stromausfälle“, meinte der Taxifahrer.
„Glauben Sie?“ erwiderte Angie geistesabwesend.
„Und wie, schöne Frau. Das Eis, das drückt die ganzen Stromleitungen runter. Warten Sie’s mal ab. In so ‘ner schlimmen Nacht sollte keiner draußen sein. Nee.“
„Und warum sind Sie draußen?“ fragte ich.
„Die Kinder müssen doch was zu beißen haben! Müssen aber nicht wissen, wie hart die Welt für ihren Papa ist. Nein. Die müssen nur wissen, dass sie was zu beißen kriegen.“
Ich dachte an Maes verwirrten, verschreckten Gesichtsausdruck. In meinen Ohren hallten die Worte wider, die ich ihrer Mutter entgegengeschleudert hatte.
Die Kinder müssen es nicht wissen. Wie hatte ich das nur vergessen können?
Timothy Dünn ließ seine Taschenlampe zweimal aufleuchten, als wir uns dem Weg vor Angies Haus näherten.
Vorsichtig kam er über die Strasse auf uns zu. Er war ein schmaler junger Mann mit einem breiten, offenen Gesicht. Er hätte besser auf einen Bauernhof oder ins Priesterseminar gepasst.
Seine Polizeimütze war in Plastik eingewickelt, um sie vor der Nässe zu schützen. Der schwere, schwarze Regenmantel war voller Regentropfen. Er tippte sich an die Mütze, als wir uns an der Haustreppe trafen.
„Mr. Kenzie, Ms. Gennaro. Ich bin Officer Timothy Dünn. Wie geht’s uns heute Abend?“
„Ging schon mal besser“, gab Angie zurück.
„Ja, Ma’am, schon gehört.“
„Miss“, verbesserte Angie.
„Wie bitte?“
„Nennen Sie mich bitte Miss oder einfach Angie. Wenn Sie Ma’am sagen, komme ich mir vor, als wäre ich Ihre Mutter.“ Sie sah ihn an. „Und das bin ich doch nicht, oder?“
Er lächelte schüchtern: „Das möchte ich aber entschieden bezweifeln, Miss.“
„Wie alt sind Sie?“
„ Vierundzwanzig.“
„Puh!“
„Und Sie?“ fragte er.
x Angie kicherte. „Fragen Sie eine Frau nie nach ihrem Gewicht oder ihrem Alter, Officer Dünn.“
Er nickte. „Ich meinte nur, so oder so hat es der Herr ziemlich gut mit Ihnen gemeint, Miss.“
Ich verdrehte die Augen.
Sie lehnte sich nach hinten und sah ihn näher an.
„Sie werden es weit bringen, Officer Dünn.“
„Vielen Dank, Miss. Das sagen die Leute öfter zu mir.“
„Dann glauben Sie ihnen“, antwortete Angie.
Einen Moment lang sah

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