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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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hervorholte. Er öffnete es, blätterte kurz darin herum, bis er die Stelle fand, die er gesucht hatte.
„Patrick Kenzie“, las er, „dreiunddreißig Jahre. Mutter und Vater verstorben. Eine Schwester, Erin Margolis, sechsunddreißig Jahre, wohnt in Seattle, Washington. Im letzten Jahr haben Sie zusammen mit Ms. Gennaro hier mit ihrem Unternehmen einen Umsatz von 48000 Dollar gemacht. Seit sieben Jahren geschieden. Exfrau ist momentan unbekannt verzogen.“ Er lächelte mich an. „Aber das bekommen wir auch noch raus, glauben Sie mir.“ Er blätterte um und spitzte die wulstigen Lippen. „Letztes Jahr haben Sie unter der Zufahrt zur Schnellstrasse kaltblütig einen Zuhälter erschossen.“ Freddy blinzelte und tätschelte mir die Hand. „Tja, Kenzie, das ist uns bekannt. Wenn Sie noch
mal einen erledigen, lassen Sie es sich eine Lehre sein: Niemals einen Zeugen leben lassen!“ Dann blickte er wieder ins Notizbuch. „Wo waren wir? Ach ja. Lieblingsfarbe blau. Lieblingsbier St. Pauli Girl, Lieblingsessen mexikanisch.“ Wieder blätterte er um und sah dann zu uns auf. „Wie hört sich das an?“
„Oh, Mann“, antwortete Angie, „wir sind echt beeindruckt! „ Er wandte sich ihr zu. „Angela Gennaro. Momentan getrennt lebend, Ehemann Phillip Dimassi. Vater verstorben. Mutter Antonia lebt mit zweitem Ehemann in Flagstaff, Arizona. War an der Erschießung des Zuhälters letztes Jahr beteiligt. Wohnt in einer Erdgeschosswohnung in der Howes Street, Hintertür nicht richtig verriegelt.“ Er klappte das Notizbuch zu und sah uns gutmütig an. „Wenn meine Freunde und ich solche Informationen zur Hand haben, warum sollten wir jemandem dann ein Foto schicken, verdammt noch mal?“
Ich versuchte, ruhig zu bleiben, drückte die rechte Hand auf den Oberschenkel, die Finger gruben sich ins Fleisch. Dann räusperte ich mich. „Klingt eher unwahrscheinlich.“
„Verfluchte Scheiße, es ist unwahrscheinlich!“ verbesserte mich Jack Rouse.
„Wir schicken keine Fotos, Mr. Kenzie“, erklärte Freddy. „Unsere Botschaften sind ein bisschen direkter.“
Jack und Freddy starrten uns an wie zwei Menschenfresser, und Kevin Hurlihy grinste so breit, dass sich fast ein Abgrund in seinem Gesicht auftat.
Angie fragte: „Meine Hintertür ist nicht richtig verriegelt?“ Freddy zuckte mit den Achseln: „So erzählt man sich.“
Jack Rouse tippte sich mit den Fingern an seine Tweedkappe. Angie lächelte und sah erst mich, dann Freddy an. Man musste sie schon sehr gut kennen, um zu wissen, wie fuchsteufelswild sie war. Sie gehörte zu der Sorte Mensch, deren Bewegungen einfroren, wenn sie wütend waren. Nach ihrer steinernen Haltung zu urteilen, war ich mir ziemlich sicher, dass sie den Punkt ohne Wiederkehr vor zirka fünf Minuten überschritten hatte.
„Freddy“, sprach sie ihn an und blinzelte dabei, „Sie unterstehen doch dem Imbruglia-Clan in New York. ^Korrekt?“
Freddy glotzte sie an.
Pine setzte sich gerade.
„Und die Imbruglias“, fuhr sie fort und beugte sich leicht vor, „unterstehen dem Moliach-Clan, die wiederum die berühmten Capos der Patrisos sind. Korrekt?“
Freddy blickte ruhig und ausdruckslos, Jacks linke Hand war irgendwo zwischen Tischkante und Kaffeetasse festgewachsen, und neben mir hörte ich Kevin tief durch die Nase atmen.
„Und Sie – verstehe ich das richtig? – schicken Männer aus, um Sicherheitsmängel in der Wohnung von Mr. Patrisos einziger Enkeltochter ausfindig zu machen? Freddy“, sagte sie und griff über den Tisch nach seiner Hand, „glauben Sie, dass Mr. Patriso dieses Vorgehen ehrenwert findet?“
Freddy versuchte es: „Angela…“
Sie tätschelte ihm die Hand und erhob sich. „Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben!“
Ich stand ebenfalls auf. „War mir ein Vergnügen.“
Kevins Stuhl kreischte laut über die Fliesen, als er sich mir in den Weg stellte und mich mit seinen tiefgründigen Augen anblickte. Freddy befahl: „Setz dich hin, verdammt noch mal!“
„Hast du nicht gehört, Kevin?“ fragte ich. „Setz dich hin, verdammt noch mal!“
Kevin fuhr sich über den Mund und hörte auf zu grinsen. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass Pine wieder die Beine übereinanderschlug.
„Kevin!“ mahnte Jack Rouse.
In Kevins Gesicht sah ich all die jahrelange Unterdrückung in der Schule und das helle Flackern puren Wahnsinns. Ich konnte den kleinen jähzornigen Jungen erkennen, dessen Verstand in der ersten oder zweiten Klasse erstickt wurde, verkümmerte und

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