Absender unbekannt
niemals wieder zu wachsen begann. Ich sah Mord und Totschlag. „Angela“, wiederholte Freddy, „Mr. Kenzie, bitte setzen Sie sich!“ „Kevin!“ mahnte Jack Rouse noch einmal.
Kevin legte mir die Hand auf die Schulter, mit der er sich vorher das Grinsen aus dem Gesicht gewischt hatte. Was in den nächsten ein, zwei Sekunden zwischen uns vorging, während seine Hand dort lag, war weder angenehm noch erfreulich. Schließlich nickte Kevin kurz, als beantworte er eine von mir gestellte Frage und trat neben seinen Stuhl zurück.
„Angela“, versuchte es Freddy wieder, „können wir nicht…“ „Schönen Tag noch, Freddy.“ Sie ging an mir vorbei, und wir traten zusammen auf die Prince Street.
Wir gingen zu unserem Auto auf der Commercial Street, das einen Block entfernt von Diandra Warrens Wohnung geparkt war, und Angie sagte: „Ich habe noch einiges zu erledigen, ich nehme mir besser ein Taxi.“
„Wirklich?“
Sie sah mich an wie eine Frau, die gerade einen ganzen Raum voller Mafiosi vor den Kopf gestoßen hatte und
nicht in der Stimmung war, sich noch mehr Scheiße anzuhören. „Was hast du vor?“
„Mit Diandra reden, nehme ich an. Mal sehen, ob ich noch was über diese Moira Kenzie herausbekomme.“
„Brauchst du mich dabei?“
„Nein.“
Sie blickte zurück in die Prince Street. „Ich glaube ihm.“
„Wem? Kevin?“
Sie nickte.
„Ich auch“, bestätigte ich. „Er hat eigentlich keinen Grund zu lügen.“ Sie sah zur Lewis Wharf herüber, auf das einsame Licht, das in Diandra Warrens Wohnung brannte. „Was bedeutet das für sie? Wenn Kevin ihr das Foto nicht geschickt hat, wer dann?“ „Keine Ahnung.“
„Tolle Detektive!“
„Wir finden es raus“, sagte ich. „Darin sind wir gut.“
Ich schaute ebenfalls die Prince Street hinunter und sah zwei Männer auf uns zukommen. Der eine war klein, dünn und sehnig und trug eine Tweedkappe. Der andere war groß und dünn und kicherte wahrscheinlich, wenn er jemanden umbrachte. An der Ecke zur Commercial blieben sie neben einem goldfarbenen Diamante stehen, der genau gegenüber von uns geparkt war. Während Kevin Jack die Beifahrertür öffnete, starrte er uns böse an.
„Der Typ mag euch beide nicht besonders“, sagte eine Stimme. Ich blickte mich um und sah Pine auf meiner Motorhaube sitzen. Mit einer schnellen Bewegung des Handgelenks warf er mir mein Portemonnaie vor die Brust.
„Nein“, bestätigte ich.
Kevin ließ den Blick nicht von uns, als er zur Fahrertür
ging. Dann stieg er ein und bog auf die Commercial, fuhr um den Waterfront Park und verschwand in der Kurve der Atlantic Avenue. „Miss Gennaro!“ Pine beugte sich vor und händigte Angie ihre Brieftasche aus.
Angie nahm sie an sich.
„Das war eine sehr gute Vorstellung eben. Bravo!“
„Vielen Dank“, erwiderte Angie.
„Würde ich aber kein zweites Mal versuchen.“
„Nein?“
„Das wäre dumm.“
Sie nickte. „Stimmt.“
„Dieser Typ“, sagte Pine und deutete auf die Stelle, wo der Diamante gestanden hatte, „wird euch einigen Kummer bereiten.“ „Kann ich nicht viel dran ändern“, warf ich ein.
Mit einer fließenden Bewegung glitt Pine von der Motorhaube, so als seien ihm linkische Gesten ein Greuel.
„Ich für meinen Teil“, hakte er nach, „wenn der mich so angeguckt hätte, der wäre nicht lebend in sein Auto gestiegen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Na ja, ist was anderes.“
Angie bemerkte: „Wir wissen, wie Kevin ist. Wir kennen ihn schon seit dem Kindergarten.“
Pine nickte. „Hättet ihn besser schon damals umgelegt.“ Als er zwischen uns hindurchging, verspürte ich einen eisigen Hauch in der Herzgegend. „Gute Nacht!“ Er überquerte die Commercial und ging die Prince Street hoch. Eine frische Brise wehte durch die Strassen. Angie zitterte in ihrem Mantel. „Der Fall gefällt mir nicht, Patrick.“ „Mir auch nicht“, antwortete ich, „ganz und gar nicht.“
5
Abgesehen von der einen Lampe in der Küche, wo wir saßen, lag Diandra Warrens Loft vollkommen im Dunkeln; die Möbelstücke warfen riesige Schatten in den leeren Raum. Das Licht aus den benachbarten Gebäuden beleuchtete Diandras Fensterscheiben, drang jedoch kaum nach innen. Auf der anderen Seite des Hafens malten die Lichter von Charlestown ein gelbweißes Karomuster in den schwarzen Himmel.
Die Nacht war relativ warm, doch von Diandras Wohnung aus betrachtet wirkte sie kalt.
Diandra stellte die zweite Flasche Bier auf den massiven Holztisch vor mir. Dann setzte sie sich und
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