Absender unbekannt
hervorquellendes Schaumgummi, kaputtes Radio. Beide Hintertüren waren stark eingedrückt, so als sei der Wagen in die Zange genommen worden, und die Lackierung des Kofferraums war in Form eines gezackten Kreises abgetragen, so dass die alte Farbe zutage trat.
Das Auto war ein Ausgeburt an Hässlichkeit, so dass ich ziemlich sicher sein konnte, dass kein halbwegs vernünftiger Autoknacker darin gefasst werden wollte.
Ich hielt vor der Ampel bei den Hafbor Towers, der Motor summte munter weiter, während er pro Minute mehrere Liter Sprit verschluckte. Vor mir überquerten zwei attraktive junge Frauen die Strasse. Sie sahen wie Büroangestellte aus: Beide trugen enge, aber schlichte Röcke und Blusen, darüber zerknitterte Regenmäntel. Die dunklen Strumpfhosen steckten in weißen Tennisschuhen. Ihr Gang war ein wenig unsicher, als habe sich der Bürgersteig in einen Sumpf verwandelt, und die Rothaarige lachte ein wenig zu laut.
Die Brünette sah mich an, und ich grinste das harmlose Grinsen eines Menschen, der in einer lauen, ruhigen Nacht in einer ansonsten geschäftigen Stadt einen anderen erkennt.
Sie lächelte zurück, und ihre Freundin bekam einen lauten Schluckauf, worauf die beiden zusammenstießen und laut draufloslachten. Ich fuhr weiter und bog auf die Hauptstrasse ab, über mir zog sich die dunkelgrüne Schnellstrasse entlang, und ich dachte, was für ein komischer Kerl ich war, dass das Lächeln einer beschwipsten Frau mich noch immer so leicht aufheitern konnte.
Aber es war auch eine komische Welt, auf der es zu viele Menschen wie Kevin Hurlihy und Fat Freddy Constantine gab oder wie die Frau, von der ich am Morgen in der Zeitung gelesen hatte: Sie hatte ihre drei Kinder in einer von Ratten befallenen Wohnung sich selbst überlassen, während sie mit ihrem neuesten Freund eine viertägige Spritztour unternahm. Als die Beamten des Jugendamtes die
Wohnung betraten, mussten sie eins der schreienden Kinder vorsichtig von der Matratze nehmen, weil es sich wundgelegen hatte. Manchmal sollte man meinen, dass das Lächeln irgendeiner Frau in einer solchen Welt, in der ich mir Sorgen um eine Klientin machte, die aus unbekannten Gründen von Unbekannten bedroht wurde, dass ein Lächeln in einer solchen Welt keine Wirkung hatte. Hatte es aber.
Und wenn mich schon das Lächeln dieser Unbekannten aufheiterte, so gab es kaum noch Worte für das, was Grace’ Lächeln bewirkte, als ich vor meinem Haus parkte und sie auf der Veranda sitzen sah. Sie trug eine dunkelgrüne Leinenjacke, die ihr vier oder fünf Nummern zu groß war, darunter ein weißes T-Shirt und die blaue OPHose. Normalerweise umspielten die kurzen, kastanienbraunen Locken das Gesicht, doch war sie sich während ihrer DreißigStunden-Schicht offensichtlich unzählige Male durchs Haar gefahren, und ihr Gesicht war gezeichnet von zuwenig Schlaf, zuviel Kaffee und dem grellen Licht der Notaufnahme.
Und trotzdem war sie eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen hatte.
Sie sah mir mit einem halben Lächeln auf den Lippen und einem schelmischen Blick in den blassen Augen entgegen, wie ich die Treppe emporstieg. Als ich drei Stufen von ihr entfernt war, breitete sie die Arme aus und neigte sich wie ein Schwimmer auf dem Sprungbrett nach vorne.
„Fang mich!“ Sie schloss die Augen und ließ sich fallen.
Der Aufprall ihres Körpers auf meinen war so schön, dass es fast wehtat. Sie küsste mich, und ich spreizte die Beine, weil sie die Oberschenkel um meine Hüfte schlang und die Füße hinter meinem Rücken verschränkte. Ich roch ihre Haut und spürte ihre Wärme, die Wärme, die von jeder einzelnen Faser unserer Körper ausging, so als säße jedes Organ direkt unter der Haut. Grace löste sich von mir, ihre Lippen streiften mein Ohr.
„Du hast mir gefehlt“, flüsterte sie.
„War nicht zu übersehen.“ Ich küsste ihren Hals. „Haben sie dich gehen lassen?“
Sie stöhnte. „Zum Schluss wurde es weniger.“
„Wartest du schon lange?“
Sie schüttelte den Kopf und biss mir zärtlich in die Schulter, bevor sie ihre Umklammerung lockerte und sich vor mich stellte, die Stirn an meine gelehnt.
„Wo ist Mae?“ fragte ich.
„Zu Hause bei Annabeth. Schläft tief und fest.“
Grace wohnt mit ihrer jüngeren Schwester Annabeth zusammen, die öfter auf Mae aufpasst.
„Hast du sie noch gesehen?“
„Ich konnte ihr gerade noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen und einen Kuss geben. Dann schlief sie wie ein Murmeltier.“ „Und was ist mit dir?“
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