Absender unbekannt
unseren Füssen.
„Du kommst jetzt besser herunter, mein Schatz“, sagte Grace. „Ich…“
„Komm!“
Sie hüpfte neben mir herunter. „Smoots“, sagte sie zu mir mit einem verrückten Grinsen, als sei das nun unser Privatwitz.
1958 hatten einige Stundenten aus den höheren Semestern des Massachusetts Institute of Technology Oliver Smoot auf die Mass. Ave. Bridge gelegt und dann erklärt, die Brücke sei 364 Smoots plus ein Ohr lang. Irgendwie wurde diese Maßeinheit zum gemeinsamen Kulturgut von Boston und Cambridge, und immer, wenn die Brücke überholt wird, werden die Smoot-Marken frisch nachgemalt. Wir verließen die Brücke und gingen in östlicher Richtung am Fluss entlang. Es war früher Abend, die Luft hatte die Farbe von Scotch, die Bäume leuchteten in allen erdenklichen Rottönen, als würden sie brennen, das dunstige, dunkle Gold des Himmels setzte sich vom explosiven Kirschrot, Limettengrün und Hellgelb des Blätterdachs ab, das sich über uns erstreckte.
„Erklär mir das noch mal!“ sagte Grace und schob ihren Arm unter meinen. „Deine Klientin hat eine Frau kennengelernt, die behauptet, sie sei die Freundin eines Mafioso.“
„War sie aber nicht, und soweit wir wissen, hat er mit der ganzen Sache auch nichts zu tun. Die Frau ist verschwunden, wir haben keinen einzigen Beweis, dass es sie überhaupt je gegeben hat. Der Sohn meiner Klientin, Jason, scheint außer seiner möglichen Bisexualität, die seine Mutter nicht stört, keine weiteren Leichen im Keller zu haben.
Wir haben den Jungen eineinhalb Wochen lang beschattet, können aber nichts weiter vorweisen als einen Typ mit einem Ziegenbärtchen, der vielleicht eine Affäre mit ihm hat, der sich aber ebenfalls in Luft aufgelöst hat.“
„Und dieses Mädchen, das du kanntest? Die umgebracht worden ist?“
Ich zuckte mit den Achseln. „Nichts. All ihre Freunde und Bekannten sind entlastet, selbst die Penner, mit denen sie sich herumgetrieben hat, und Devin nimmt nicht ab, wenn ich anrufe. Es ist total beschissen…“
„Patrick!“ mahnte Grace.
Ich blickte auf Mae hinunter.
„Ups“, verbesserte ich mich. „Es ist wie verhext.“
„Schon besser.“
„Scottie!“ rief Mae. „Scottie!“
Vor uns neben dem Joggingpfad saß ein Ehepaar mittleren Alters auf der Wiese, neben dem Mann lag ein schwarzer Scotch Terrier, den dieser geistesabwesend tätschelte.
„Darf ich?“ fragte Mae Grace.
„Frag erst den Mann!“
Mae trat leicht zögernd vom Pfad auf den Rasen, als nähere sie sich einer unsichtbaren Grenze. Der Mann und die Frau lächelten sie an, dann blickten sie zu uns herüber, und wir winkten ihnen zu. „Ist der Hund lieb?“
Der Mann nickte. „Viel zu lieb.“
Mae hielt die Finger ungefähr zwanzig Zentimeter vom Kopf des Terriers entfernt. Er hatte sie noch nicht bemerkt. „Beißt er auch nicht?“
„Nein, der beißt nicht“, beruhigte die Frau. „Wie heißt du?“ „Mae.“
Der Hund sah hoch, und Mae zuckte mit dem Arm zurück, doch der Hund stellte sich nur langsam auf die Hinterbeine und schnüffelte. „Mae“, stellte die Frau vor, „das ist Indy.“
Indy schnüffelte an Maes Bein, und sie sah unsicher über die Schulter zu uns herüber.
„Er möchte gestreichelt werden“, erklärte ich.
Ganz langsam senkte sie sich hinab und berührte seinen Kopf. Er stieß mit der Schnauze an ihre Handfläche, und sie ging noch ein bisschen weiter herunter. Je näher sie ihm kam, desto stärker wurde mein Bedürfnis, die Besitzer zu fragen, ob ihr Hund wirklich nicht beiße. Es war ein komisches Gefühl. Scotch Terrier sind ungefähr so gefährlich wie Guppies oder Sonnenblumen, doch das beruhigte mich momentan nicht gerade, als ich Maes winzigen Körper immer näher an diese mit Zähnen bewehrte Kreatur heranrücken sah. Als Indy Mae ansprang, wollte ich mich schon dazwischenwerfen, doch Grace legte mir die Hand auf den Arm. Mae quietschte, und dann tollte sie mit dem Hund auf dem Rasen herum, als seien sie alte Freunde.
Grace seufzte. „Bis eben war das Kleid noch sauber.“
Wir setzten uns auf eine Bank und sahen eine Weile Mae und Indy zu, die sich jagten, übereinander stolperten und herfielen, wieder aufstanden und von neuem anfingen.
„Sie haben eine wunderbare Tochter“, bemerkte die Frau. „Vielen Dank“, antwortete Grace.
Mae raste an der Bank vorbei, die Hände hoch über dem Kopf, und kreischte, während Indy ihr in die Beine zwickte. Sie liefen noch ungefähr zwanzig Meter weiter, dann purzelten beide in
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