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wohl.“
„Hör mal, ich entschuldige mich nicht dafür, was ich eben gesagt habe.“
„Das erwarte ich auch nicht.“
„Ich möchte dich bei mir haben, Patrick…“
„Gut.“
„… aber ich bin mir nicht sicher, dass ich dein Leben auch haben will.“
„Das verstehe ich nicht.“
Es summte in der Leitung, und ich merkte, dass ich Angies Zigarettenschachtel beäugte und unbedingt eine rauchen wollte. „Dein Leben“, erklärte Grace. „Diese Gewalt. Du ziehst die Gewalt an, stimmt’s?“
„Nein.“
„Doch“, widersprach sie sanft. „Ich war letztens in der Bibliothek. Ich habe die ganzen Zeitungsartikel über dich vom letzten Jahr rausgesucht. Als diese Frau umgebracht wurde.“
„Und?“
„Ich habe viel über dich gelesen. Und ich habe die Fotos gesehen, wie du neben der Frau kniest und bei dem Mann, auf den du geschossen hast. Du warst voller Blut.“
„Es war ihres.“
„Was?“
„Das Blut“, erwiderte ich, „es war von Jenna. Die Frau, die umgebracht wurde. Vielleicht war auch etwas von Curtis Moore dabei, von dem Typ, den ich angeschossen habe. Aber meins war es nicht.“
„Ich weiß“, sagte sie. „Ich weiß. Aber als ich mir die Bilder von dir ansah und diese Geschichte über dich las, da dachte ich, was ist das für ein Mann? Den Mann auf diesen Bildern kannte ich nicht. Ich kenne diesen Mann nicht, der auf Menschen schießt. Ich kenne ihn nicht. Es war wirklich seltsam.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Grace.“
„Hast du schon mal jemanden umgebracht?“ Ihre Stimme klang scharf.
Zuerst antwortete ich nicht.
Schließlich sagte ich: „Nein.“
Einfach so hatte ich sie zum ersten Mal belogen.
„Aber du bist dazu in der Lage, oder?“
„Das ist jeder.“
„Vielleicht ja, Patrick. Vielleicht. Aber die meisten von uns bringen sich nicht selber in Situationen, in denen das notwendig werden könnte. Du schon.“
„Ich habe mir diesen Mörder nicht ausgesucht, Grace. Kevin Hurlihy habe ich mir auch nicht ausgesucht.“
„Doch“, widersprach sie, „hast du wohl. Dein ganzes Leben ist ein bewusster Versuch, dich mit der Gewalt zu konfrontieren, Patrick. Du kannst ihn nicht schlagen.“
„Wen?“
„Deinen Vater.“
Ich griff nach der Packung Zigaretten und schob sie zu mir hinüber. „Versuch ich auch gar nicht“, gab ich zurück.
„Kommt mir aber so vor.“
Ich nahm eine Zigarette heraus und klopfte mit ihr auf die Fotos von Hardiman, Rugglestones Leiche und dem gekreuzigten Cal Morrison.
„Worauf willst du hinaus, Grace?“
„Du hast mit Leuten wie… Bubba zu tun. Und Devin und Oscar. Du lebst in einer dermaßen brutalen Welt und hast so viele brutale Menschen um dich.“
„Aber das berührt dich doch nicht!“
„Doch, hat es bereits. Scheiße! Ich weiß doch, dass du eher sterben würdest, bevor mir jemand etwas antut. Das weiß ich.“
„Aber…“
„Aber zu welchem Preis? Was passiert mit dir? Du kannst dein Geld nicht als Müllmann verdienen und abends nach Seife duften, Patrick. Sie frisst dich auf, deine Arbeit. Sie höhlt dich aus.“ „Merkst du das schon?“
Lange Zeit sagte sie nichts.
„Noch nicht“, meinte sie dann. „Aber das ist fast schon
ein Wunder. Wie viele Wunder wird es wohl noch geben, Patrick?“ „Ich weiß es nicht“, erwiderte ich mit rauher Stimme.
„Ich auch nicht“, sagte sie. „Aber der Einsatz ist mir zu hoch.“ „Grace…“
„Ich lasse bald von mir hören“, verabschiedete sie sich, bei dem „bald“ zögerte sie leicht.
„Gut.“
„Nacht!“
Sie legte auf, und ich lauschte dem Freizeichen. Dann zerdrückte ich die Zigarette zwischen den Fingern und schob die Packung von mir.
„Wo bist du?“ fragte ich Bubba, als ich ihn endlich auf dem Handy erreichte.
„Vor Jack Rouse’ Laden in Southie.“
„Warum?“
„Weil Jack drinnen ist, Kevin auch und der Rest der ganzen Bande.“ „Du hast Kevin heute nicht schlecht erledigt“, bemerkte ich. „Ja, war wie Weihnachten.“ Er kicherte. „Der alte Kev lutscht sein Essen jetzt ‘ne Zeitlang durch’n Strohhalm, mein Lieber.“ „Hast du ihm den Kiefer gebrochen?“
„Und die Nase. Zwei auf einen Streich.“
„Aber, Bubba“, begann ich vorsichtig, „musste das vor Grace sein?“ „Warum nicht? Eins sag ich dir, Patrick, du hast ‘ne ganz schön undankbare Freundin!“
„Hast du Trinkgeld erwartet?“ fragte ich.
„Ich habe ein Lächeln erwartet. Ein Dankeschön oder
wenigstens ein dankbares Augenrollen wäre auch okay gewesen.“ „Du hast den Mann vor den
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