Absolut WILD 3
tatsächlich von sich weg und ging hinter Mama her.
»So«, sagte er, als wir in die Küche kamen. »Da ist er also, der kleine Bär. Er ist dein neustes Projekt, haben mir die Mädels erzählt.«
»Mama freut sich total, Papa zu sehen«, raunte Tori mir zu, als das Gespräch zwischen den beiden nach dem holperigen Anfang endlich in Gang kam. »Sieh dir ihr Gesicht an! Sie ist ja völlig verzückt.«
»Ich glaube, das ist eher wegen Boris.«
Das sagte ich nicht, weil ich der Meinung war, dass Tori sich irrte, sondern weil ich mich vor einer Enttäuschung schützen wollte. Mein Blick wanderte zu dem Küchenschrank, in dem die Tassen standen.
»Ist er nicht hinreißend?«, sagte Mama, als Papa Boris über den Kopf strich. Hasi stimmte ihren Jubelgesang an – das heißt, sie wuffte und jaulte leise, wie sie es immer tat, wenn sie außer sich war vor Begeisterung. »Sein Bein wird allmählich besser. Aber morgen müssen wir wohl leider auch seine Schwestern von der Mutter trennen. Sie ist entweder aggressiv zu ihnen oder beachtet sie überhaupt nicht.«
»Bären können schwierig sein«, sagte Papa, dann räusperte er sich. »Hat … äh … Jonas Nikolaides eine Idee, warum sie sich so verhält?«
»Nein«, entgegnete Mama.
Jetzt wurde Papa mutig. »Ich werde erst am Freitag mit den Pferden am Set erwartet, also habe ich morgen Nachmittag frei. Soll ich rüberkommen und helfen?«
Mama sah ihn über den wolligen braunen Kopf von Boris hinweg an. »Ich wüsste nicht, was du tun kannst«, sagte sie nach einer kleinen Pause.
Menno!, dachte ich. Falsche Antwort!
»Aber vielleicht kannst du mich überraschen«, fügte sie hinzu und lächelte.
Papa plusterte sich auf wie ein Pfau. »Nun, man nennt mich nicht umsonst den Tiermann.«
»Das weiß ich doch.«
In diesem Moment ließ Hasi einen furchtbaren Pups los, und der romantische Moment war im Eimer.
»Gut, dann also bis morgen«, sagte Papa und verließ fluchtartig die Küche, während wir alle mit den Händen vor unseren Nasen herumwedelten und Hasi sich in ihren Korb verzog. »Im Bärenhaus, ja? Ich hole die Mädels von der Schule ab und bringe sie gleich mit.«
Tori und ich hörten Mamas Antwort nicht mehr, weil wir die Treppe hochrannten, um vor Begeisterung in unsere Kopfkissen zu kreischen.
Papa hatte sich richtig herausgeputzt, als er uns am nächsten Tag am Schultor abholte. Er hatte seinen Bart ein bisschen gestutzt, und er trug ein hübsches blau-weiß kariertes Hemd, das ich noch nie an ihm gesehen hatte.
»Neues Hemd, Papa?«, sagte Tori.
Papa fummelte an seinem Kragen herum. »Ja. Nein. Weiß nicht«, antwortete er verdächtig nervös. »Wie geht es eurer Mutter? Wie sieht es bei den Bären aus?«
»Nicht so gut«, sagte ich. »Weil Ivana nur noch herumgelaufen ist, musste sie heute Morgen ruhiggestellt werden, damit Anna und Sasha sich satt trinken konnten. Sie waren total ausgehungert.«
Obwohl es nicht schön ist, wenn man Tierbabys von ihrer Mutter trennen muss, waren Tori und ich der Meinung, dass Boris es im Moment viel besser hatte als seine Schwestern – auch wenn sein Bein noch verbunden war.
Papa ließ den Motor an und fuhr los. »Ivana war ein Zirkusbär, nicht wahr?«
»Ja, die Arme«, sagte Tori.
»Kann es sein, dass ihr das Zirkusleben fehlt?«
Das war so ein merkwürdiger Gedanke, dass Tori und ich erst mal sprachlos waren.
»Dass es ihr fehlt ?«, sagte ich dann. »Sie ist ein wildes Tier, Papa. Wenn ihr irgendetwas fehlt, dann die freie Natur. Sie ist total traumatisiert.«
»Wisst ihr genau, dass sie als ausgewachsene Bärin in der Wildnis gefangen wurde und nicht in Gefangenschaft aufgezogen worden ist?«
Tori und ich sahen uns an. Nein, genau wussten wir es nicht.
»Tiere lieben feste Gewohnheiten. Sie mögen ein bestimmtes Futter, sie haben ihre Lieblingsplätze und spezielle Verhaltensweisen. Als ich sie in freier Wildbahn fotografiert habe, habe ich zuerst ihre Gewohnheiten studiert, damit ich sie dann auch zur rechten Zeit am rechten Ort erwische. Wenn Ivana ihr ganzes Leben in Gefangenschaft verbracht hat, möchte sie wahrscheinlich genauso an ihren alten Verhaltensweisen festhalten.«
»Dazu gezwungen werden zu tun, was der Zirkusdirektor will?«, fragte Tori. »In einem Käfig eingesperrt sein, statt in der Wildnis herumzulaufen? Ja, Papa, das fehlt ihr ganz bestimmt!«
»Eure Mutter hat gesagt, Ivana war in einem guten Zustand, als sie hier angekommen ist«, entgegnete Papa. »Und sie hat drei Junge,
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